14. Mai 1897: Marconi sendet über den Bristol-Kanal
Aus "Zeitzeichen" (NDR+WDR) vom 14.5.1997 - Abschrift: Heinrich Busch

Eine ländliche Idylle. Blätter rauschen in den Zweigen. Ansonsten Stille.
Wir hören diese Geräusche, weil wir sie mit unseren Ohren aufnehmen und in elektrische Signale umwandeln die unser Gehirn versteht - als Blätterrauschen, Vogelgezwitscher, Tierschreie. Was wäre, wenn unsere Ohren nicht nur mechanische, sondern auch bestimmte elektromagnetische Schwingungen die unsere Welt durchdringen, wahrnehmen könnten? Schwingungen von Radioprogrammen, Fernsehshows, drahtlosen Funkübertragungen, Satellitentelefongesprächen, Internet-Recherchen. Ein Chaos von Geräuschen bräche über uns herein!

Die ersten drahtlosen Funkübertragungen aus langwelligen elektromagnetischen Schwingungen begannen vor etwas mehr als einem Jahrhundert. Wenige Jahre vor jenem 14. Mai 1897, der dem Äther seine Stille nahm.

Das Chaos begann nahe jener ländlichen Wiese in einer Welt, in der es noch keine Funk-, Radio- und Fernsehwellen gab. In der Stille des italienischen Ortes Ponteccio nahe Bologna wuchs Guglielmo Marconi heran. Geboren 1874 als Sohn des Bologneser Kaufmanns Guiseppe Marconi und einer bemerkenswerten Frau, die halb Irin, halb Schottin war: Anny Jameson. Guglielmo verschlang alles, was er an Literatur über elektromagnetische Wellen finden konnte, was nicht wenig war.

Im Jahre 1888 gelang es dem deutsche Physiker Heinrich Hertz als erstem, langwellige Schwingungen zu erzeugen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit im Raum ausbreiteten: Elektromagnetische Schwingungen! Zu den Elektromagnetischen Schwingungen gehören als wichtigste Radio- und Fernsehwellen, Mikrowellen, Wärmestrahlen, das sichtbare Licht, ultraviolettes Licht, Röntgenstrahlung und Radioaktive Gammastrahlung. Das Besondere dieser Schwingungen: Sie breiten sich im Raum aus ohne irgendein Medium. Ohne Luft, Wasser oder Draht. Ein ideales Transportmittel für Nachrichten.
Um die selbe Zeit baute man in Frankreich einen sehr empfindlichen Detektor für elektromagnetische Schwingungen, den sogenannten Kohärer. Später nannte man dieses Gerät "Empfänger".
Der Russe Alesandr Stepanowitsch Popow verband den Kohaerer dann mit einem Blitzableiter um elektrische Entladungen in der Atmosphäre nachzuweisen. Dieses Gerät heißt heute "Antenne".
Sender, Empfänger, Antenne. Die Hauptbestandteile der drahtlosen Telegraphie gab es Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts bereits. Es hatte sie nur noch niemand zu einem Telegraphen zusammengesetzt. Marconi schien das ein Kinderspiel zu sein. Er schreibt: "Was mich am meisten beunruhigte war, dass die Idee so elementar, so einfach in ihrer Logik war, dass ich kaum glauben konnte, dass niemand daran gedacht hatte, die Idee in die Praxis umzusetzen. Mir selbst erschien die Idee sehr realistisch und deshalb bemerkte ich nicht, daß Anderen meine Theorie ziemlich phantastisch vorgekommen sein mag."
Phantastisch für Marconis Zeitgenossen war, dass man angeblich eine Nachricht übertragen konnte, ohne einen Draht zwischen Sender und Empfänger zu benutzen. Wer sich damals über Entfernungen hinweg verständigen wollte - etwa mit Hilfe der Morsetelegraphie oder schon mit dem Telefon - der musste einen Metalldraht zwischen sich und dem Empfänger haben. Der Draht transportierte die elektrisch kodierten Informationen. Welches Medium aber transportierte elektromagnetische Schwingungen? Manche Physiker sagten, der "Äther" tue das! Und sie beschrieben ihn als geheimnisvollen Stoff, der die gesamte Welt erfülle.
Diesen "Äther" gibt es nicht! Was es nicht einfacher macht, zu verstehen, wie elektromagnetische Schwingungen übertragen werden.
Marconi: "Es erschien mir unbedingt möglich, Signale durch den Äther zu senden und zwar über sehr große Entfernungen, wenn es gelingen würde, die Intensität der Ausstrahlung zu erhöhen, zu entwickeln und zu kontrollieren."
Seit dem Herbst 1894 schloss sich Marconi, jetzt 20 Jahre alt, in seinen Laborräumen in der elterlichen Villa Griffone ein, arbeitete verbissen und gönnte sich kaum Schlaf. Das Dienstpersonal durfte nur selten und nur unter seiner strengen Aufsicht sauber machen.
Im Dezember desselben Jahres gelingt Marconi ein erster Erfolg. Er erzeugt langwellige elektromagnetische Schwingungen in Apparat A, dem Sender. Die Schwingungen gehen über die Antenne des Senders in den Äther über und gelangen nach wenigen Metern freiem Flug zur Antenne eines zweiten Apparates B, dem Empfänger. Als der die Schwingungen aufgenommen hat, aktivieren sie einen zweiten Stromkreis, der eine Klingel in Gang setzt. Demnach soll er in einem Zimmer die elektromagnetischen Schwingungen erzeugt haben, im Nebenzimmer habe es daraufhin geklingelt.

Wenn die Geschichte stimmt, war dies das erste drahtlos übermittelte Signal.
Die Stille des Äthers war von nun an gebrochen.

Im Jahre 1895 bot Marconi seinen drahtlosen Telegraphen dem italienischen Minister für Post und Telegraphie an. Der war nicht interessiert. Anders der Chefingenieur des General Post Office in London, William Preece, der Marconi jegliche Unterstützung zusagte. So fuhr Marconi im Februar 1896 mit dem Schiff nach England und wenige Monate später nahm er ein Patent auf seinen drahtlosen Telegraphen. Ganze 22 Jahre alt war Marconi damals. Der Telegraph musste allerdings erst noch zeigen, daß er Signale über weite Wasserflächen schicken konnte. Der entscheidende Versuch fand am 14. Mai 1897 statt.
Marconi, einige Helfer und der Berliner Professor für Elektrotechnik, Adolf Slaby, hatten den Sender auf dem Festlandufer des Bristolkanals an der Westküste Englands aufgebaut und den Empfänger gegenüber auf der Felseninsel Flat Holm. Slaby berichtete als Augenzeuge über dieses Jahrhundertexperiment: "Es wird mir eine unvergessliche Erinnerung bleiben. Plötzlich, nach Aufhissung der verabredeten Flaggenzeichen, das erste Ticken. Die ersten deutlichen Morsezeichen, lautlos und unsichtbar herübergetragen von jener felsigen nur in undeutlichen Umrissen wahrnehmbaren Küste. Herübergetragen durch jenes unbekannte, geheimnisvolle Mittel: Dem Äther! Der die einzige Brücke bildet zu den Planeten des Weltalls! Es waren die Morsezeichen des "v" welche der Verabredung gemäß herüberkamen."

Die Morsezeichen hatten 5 Kilometer Wasseroberfläche überquert.

Noch 1897 gründete Marconi die "Wireless Telegraph and Signal Co." Im Juli 1898 beauftragte ihn die irische Zeitung "Dublin Express" ihr von Bord eines Schleppers Live-Berichte von der Kingston-Segelregatta zu übermitteln. Im März 1899 wurde die erste Nachricht drahtlos über den Kanal geschickt. 50 Kilometer weit! Im selben Monat entdeckte ein Patrouillenboot, das versuchsweise mit einem Marconi-Sender ausgerüstet war, ein gestrandetes Schiff und forderte über Funk Hilfe an. Alle Seeleute und die Ladung wurden gerettet.

Es war der erste Seenotruf in der Geschichte.
Wenige Jahre später legte die dritte Internationale Funkkonferenz die Morsefolge SOS als internationales Seenotzeichen fest.

Trotz seiner Erfolge rechneten berühmte Wissenschaftler Marconi vor, dass seine elektromagnetischen Wellen immer nur bis zum Horizont gelangen würden, da sie sich geradlinig wie Licht ausbreiteten. Die Erde aber sei bekanntlich rund und deshalb sei drahtlose Telegraphie nie weiter als über wenige 100 Kilometer möglich.

In einem Experiment im Jahre 1901 wollte Marconi seine Kritiker widerlegen. Dieses Experiment fand zwischen dem Westzipfel Cornwalls und St. Johns auf  Neufundland statt. Dazwischen: Der Atlantische Ozean! Marconi hat den Versuch in einem Interview selbst beschrieben: "Es war kurz nach Mittag am 12. Dezember 1901 als ich einen einzelnen Ohrhörer in mein Ohr steckte und zu lauschen begann. Der Empfänger auf dem Tisch vor mir war sehr einfach. Ein paar Röhren, Kondensatoren und der französische Kohärer. Die Hauptfrage dieses Experiments war, ob drahtlose Wellen durch die Krümmung der Erde gestoppt würden? Schon seit Langem war ich überzeugt, dass dies nicht der Fall sei. Die erste und letzte Antwort auf diese Frage kam um 12 Uhr 30 als ich das Zeichen hörte: Das Morsezeichen für den Buchstaben "s"! Die elektrischen Wellen, die von Cornwall ausgesendet worden waren, hatten die Atlantik überquert. Die Entfernung war für damalige Verhältnisse enorm: 2500 Kilometer. Zum ersten Mal war ich mir absolut sicher, dass die Menschheit eines Tages in der Lage sein würde, Nachrichten nicht nur über den Atlantik hinweg drahtlos zu übertragen, sondern von einem Ende der Welt zum anderen."

Marconi hatte durch dieses Experiment bewiesen, daß langwellige elektromagnetische Schwingungen an der Krümmung der Erdoberfläche entlang laufen und so tausende von Kilometern überbrücken können. In den folgenden Jahren errichtete er weltweit Funktelegraphendienste, baute an vielen Küsten Schiffsfunkstationen, vermietete Funkkabinen samt Telegraphisten an Schiffs-Reedereien und wurde so zu einem international geachteten Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker. 1909 wurde er - gemeinsam mit dem Deutschen Ferdinand Braun - mit dem Nobelpreis für Physik geehrt.

Bis zu jenem Zeitpunkt konnte Maconis drahtloser Telegraph allerdings lediglich Morsezeichen übertragen. In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg aber gelang es anderen Erfindern auch Sprache und Musik als elektrische Signale drahtlos um die Welt zu senden. Das war die Geburtsstunde des Sprechfunks. Von nun an konnten Gespräche von Schiffen aus um die ganze Welt geführt werden.
Und nicht nur das! Töne beliebiger Art konnten jetzt von einem Sender aus an eine Vielzahl von Empfängern geschickt werden. Das heutige Wort dafür ist: "Hörfunk"!
Im Jahre 1923 wird die erste Rundfunksendung in Deutschland übertragen.

Wenige Jahre darauf nimmt das Fernsehen seinen Betrieb auf.

Heute ist die Grundlage dieser Erfindung, Marconis drahtlose Übertragung, nicht mehr aus unserer Welt wegzudenken. Der Funksprechverkehr zwischen Schiffen, Flugzeugen, Streitkräften und Space Shuttles ist ebenso zur Selbstverständlichkeit geworden wie Hörfunk und Fernsehen oder das Telefonieren und Internet-Surfen über Satelliten.

Am 20. Juli 1937 erlag Guglielmo Marconi im Alter von 63 Jahren einem Herzinfarkt.
In ehrendem Gedenken ruhte der Funkverkehr für zwei Minuten auf der gesamten Erde.


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