"Norddeich Radio" - begeht seinen 60. Geburtstag
Ein Rückblick von R. Marschner, DL9CM

Wir haben das Jahr 1967, ich bin Funker auf der „Lichtenfels“ als „Norddeich Radio“ seinen 60. Geburtstag feiert. Weit ab vom Schuß, wie man so sagt, viel bekomme ich nicht davon mit, denn der Betrieb geht ja auch bei Deutschlands größter Küstenfunkstelle weiter.

Dank der erfolgreichen eigenen deutschen Funkentwicklung konnte die Deutsche Reichspost am 1. Mai 1907, bereits zehn Jahre nach Marconis aufsehenerregender Erfindung, eine eigene Funkstation für den Verkehr mit Schiffen auf hoher See in Betrieb nehmen. Von „hoher See“ konnte allerdings zunächst keine Rede sein. Daß man ausgerechnet den Standort in der nordwestlichen Ecke Deutschlands auf einer sumpfigen Wiese unmittelbar hinter dem Nordseedeich wählte, hatte viele Gründe, u.a. konnte man mit heimkehrenden Schiffen schon so früh wie möglich und mit den nach Übersee auslaufenden Schiffen so lange wie möglich in Funkverbindung treten. Die Reichweitenversuche die man 1907 mit dem Kreuzer „Vineta“ unternommen hatte, waren erfolgreich gewesen, trotzdem gab es Schwierigkeiten. Von der Reichspost wurden "dokumentarische Unterlagen" gefordert. Es war für sie unvorstellbar, nur das vom Funker Niedergeschriebene zu akzeptieren, ohne den aufgenommenen Text durch einen Morsestreifen nachkontrollieren zu können. Was jedoch der dünne Schreibstift auf das schmale Papier schrieb, war meist ein unentwirrbares Kauderwelsch. Atmosphärische Entladungen und benachbarte Funkstationen – jeder Funker kennt das – malten munter mit. Plötzlich jedoch waren die Morsestreifen einwandfrei lesbar. Die Reichspost triumphierte, es ging also doch! Die Norddeicher Funker hatten, um sich der lästigen und zweifelnden Rückfragen zu entledigen, zuerst alles nach Gehör aufgenommen und im Anschluß an die Aufnahme den empfangenen Text noch einmal sauber auf den Morsestreifen getastet.

Die Geschichte von „Norddeich Radio“ ist zugleich die Geschichte der kommerziellen Funktechnik schlechthin. Es gab kein Stadium, das nicht mitgemacht, erprobt, verbessert bzw. erweitert worden ist. Um- und Ausbauten sind auch in den 60er Jahren noch an der Tagesordnung. Entsprechend ist das Antennengelände, ca 30 kilowattstarke Sender strahlen von Norddeich, Osterloog und sogar von „Sibirien“ bei Elmshorn. Interessantester Antennenträger ist der „Papstfinger“, die Funker von „Norddeich Radio“ tauften ihn so, weil der Vatikansender als erste Sendestelle einen derartigen Funkmast erhielt. Auf der obersten Plattform in über 100 m Höhe war ein ausfahrbarer Stab angebracht, mit dem die Antennenkapazität reguliert werden konnte. Später erhielt ein zweiter, etwas niedrigerer Mast, der die gleiche Einrichtung besaß, den Namen „Kardinalsfinger“. In der Funktelephonie mit Seeschiffen leistete „Norddeich Radio“ ebenfalls wichtige Pionierarbeit. In den Versuchsjahren hatte es eine lustige Begebenheit gegeben. Man hatte einem Passagier der „Columbus“ kostenlos eine Verbindung mit seiner daheimgebliebenen Ehefrau in München gewährt. Er hat dieses Angebot nach dem Gespräch zutiefst bereut, denn „sie“ hielt das ganze für einen ausgekochten Schwindel, mit dem er ihr nur verschleiern wolle, daß er in Wirklichkeit noch gar nicht an Bord, sondern statt dessen in einer üblen Bremerhavener Hafenkneipe „versackt“ sei. Das Jaulen, Zischen und Pfeifen, jeder Funker kennt diese typischen Funkstörungen, verriete ganz deutlich, wie toll es dort herginge.

Toll ging es bei DAN, so lautete das internationale Rufzeichen, oft her, tagtäglich vermittelten ca 15 bis 20 Funker in Wechselschichten rund um die Uhr ca 1000 Seefunktelegramme und über 200 Gespräche mit Schiffen aller Nationen auf allen
Weltmeeren. Durch den weitreichenden Kurzwellendienst unterschied sich „Norddeich Radio“ von den anderen deutschen Küstenfunkstellen. „Kiel Radio“/DAO und „Elbe-Weser Radio“/DAC hatten mit ihren Grenz-, Mittel- und UKW-Wellen nur eine begrenzte Ausbreitungsfähigkeit. Die große Wertschätzung, die „Norddeich Radio“ in der Welthandelsflotte genoß, beruhte außer auf der exzellenten Technik und Historie vor allem auf die vielseitige Verkehrsabwicklung, die immer zuverlässig und schnell und auch bei größter „whooling“ stets mit zuvorkommender Höflichkeit erfolgte.

1967 sammelte man gerade Erfahrungen mit der neuesten Technik im Seefunkdienst, der „Einseitenbandtechnik“. Schiffe der DDG „Hansa“, Bremen, nahmen an diesen Erfahrungen teil, von denen der Wachleiter schwärmte, „mit Schiffen aus dem Persischen Golf haben wir exzellente Verbindungen“. Auf der „Lichtenfels“ gab es noch kein Einseitenband, aber ich hatte die Möglichkeit, dem Kollegen Hans Brand auf der „Schönfels“ einen Besuch abzustatten, von hier aus konnte ich mich persönlich während eines Gesprächs mit meiner Frau von der neuen Einseitenbandtelephonie überzeugen.

Die Norddeicher Funker waren so manches Mal einer nervlichen Belastung ausgesetzt, das stundenlange intensive Beobachten und schnelle Reagieren aus einem sich ständig vermehrenden „Wirrwarr“ von piependen Morsezeichen, war nicht jedermanns Sache. Als das Funkpersonal knapper wurde, einige Persönlichkeiten haben wohl damals schon gewußt, daß die Telegraphie die Jahrhundertwende nicht überleben würde, es wurden jedenfalls nicht genügend Funker eingestellt, verstanden es die Norddeicher sich auch personell umzustellen. Im Sprechfunkdienst zwitscherten, zur Freude aller Fahrensleute, plötzlich weibliche Stimmen im Äther; „Hier ist Norddeich Radio“, Achtung, Achtung, an alle Seefunkstellen, hier ist Norddeich Radio mit dem Seewetterbericht“.

Da sich die Funkerausbildung vor allem in den Anfangsjahren in Berlin konzentrierte, kamen viele Funker vom Wannsee nach Utlandshörn, nicht alle sahen diese Jahre als „Pflichtjahre“, manchen von ihnen wuchs „Norddeich Radio“ doppelt ans Herz; so manche „Schöne“ aus der Kreisstadt Norden ließ sich von einem „Postinspektor mit Pensionsberechtigung“ zum Traualtar führen.

Einige wichtige Daten:
Nov. 1905 Beginn des Aufbaus der Küstenfunkstelle
20.03.1907 Reichweitenversuche mit Kreuzer "VINETA"
01.06.1907 Aufnahme des öffentl. Funkverkehrs. Rufzeichen: KND
01.07.1908 Öffentlicher Funkverkehr 600-m-Welle  Hör- und Schreibempfang 
29.03.1909 600-m-Welle nur noch Hörempfang
21.03.1910 Aufnahme Zeitzeichendienst
01.02.1911 2,5-kW- und 10-kW-Tonfunkensender in Betrieb
13.09.1912 4-kW-Poulsen-Lorenzsender in Betrieb 
Jan. 1913 Funkbetrieb auf 1800-m-Welle über Terschelling hinaus erlaubt
01.07.1913 Neues Rufzeichen KAV für KND
Mai 1919 Erster Röhrensender (ARS U-Boot-Sender)
21.09.1922 Öffentlicher Seefunkverkehr für große Entfernungen zugelassen
2 050-m-Welle/Schiffswelle
2 250-m-Welle/Hauptfunkstelle
20.10.1926 Erster KW-Sender auf 68-m-Welle in Betrieb  KW-Versuche mit „Cap Polonio“ auf der 36-m-Welle bis einen Tag vor Montevideo, später bis Buenos Aires.
25.11.1927 Neues Rufzeichen DAN für KAV
18.04.1929 10-kW-KW-Sender mit Kristallsteuerung in Betrieb 
08.12.1931 Empfangsfunkstelle Utlandshörn wird gebaut
09.11.1932 Neues Rufzeichen DAF für Sprechfunk
Sept. 1936 Gute Kw-Verbindung mit dem Walfangschiff „Jan Wellem“ in der Antarktis
20.03.1957 Inbetriebnahme des „Papst-Fingers“
01.11.1956 Neue Rufzeichen für Sprechfunk auf KW   DAJ /DAK
                    für Telegraphie DAM / DAL 
03.05.1957  Norddeich feiert 50. Geburtstag
16.12.1964 Neues Rufzeichen für Telegraphie DAF
01.05.1967  Norddeich feiert 60. Geburtstag
01.05.1982 Norddeich Radio 75 Jahre Küstenfunkstelle
31.12.1993 Norddeich stellt die Aussendung der nautischen Warnnachrichten und der .Wetterinformationen auf MW ein 
31.12.1994  Peilfunknetz „Nordsee“ wird geschlossen
31.12.1995 Norddeich stellt die MW-Telegraphie ein
Die letzte Aussendung:
cq de dan =
this is the last announcement on 500 khz:
norddeich radio/dan will close the medium wave telegraphy service and the security watch on 500 khz now. OXB will maintain watch on 500 khz for german sar area + 
de dan + nw cq de dan nw cl cl for ever sk 73 tz sk
30.09.1996 Norddeich stellte die KW-Telegraphie ein
Die letzte Aussendung:
cq de dan/dam/dal/daf =
this is the last announcement from norddeich radio in morse code stop we now close the
radiotelegraphy service on hf stop thanks to all our friends and customers cultr agn on telephony by by + + sk
01.10.1996 Einstellung des KW-Sprechfunkdienstes
01.01.1997 Einstellung des GW-Sprechfunkdienstes
31.12.1998 Einstellung des UKW-Sprechfunkdientes

Es gibt keine Küstenfunkstelle mit dem Namen  „Norddeich Radio“ mehr!


Zur Seefunk-Homepage
Version: 20-oct-99 / Rev.: 14-Aug-11 / HBu