Satelliten verdrängten Seefunkdienst
Aus: KURIER am 24.12.1998

(ma) Die Geschichte der legendären Küstenfunkstelle „Norddeich Radio“, die viele Jahre lang die einzige Verbindung zwischen den Menschen auf See und denen an Land darstellte, begann 1907. Der Deutsche Kaiser Wilhelm II. war 1905 mit seinem Dampfer „Hamburg“ auf der Rückreise einer Mittelmeerfahrt und wollte einen Text über die von Engländern betriebene Marconi-Station auf Borkum aufgeben. Der Monopolist Marconi nahm aber Funktelegramme von Kunden, die fremde Anlagen an Bord hatten nicht an und wies den kaiserlichen Auftrag ab.

Wilhelm II. wurde darüber so böse, daß er das Reichspostamt anwies, sofort eine eigene, firmenunabhängige Küstenfunkstelle zu errichten. Es wurde ein Gelände hinter dem Seedeich bei Norddeich gefunden, und schon zwei Jahre später – am 1. Juni 1907 – wurde der „allgemeine öffentliche Seefunkverkehr“ eröffnet. Mit ihren überragenden Reichweiten auf der 2 000-Meter-Welle rückte die Station Norddeich von Beginn an auf einen der ersten Plätze der bis dahin existierenden Küstenfunkstellen in Europa.

Um Hilfe in Seenot zu ermöglichen, wurde schon zu dieser Zeit eine dauernde Hörbereitschaft auf der Welle 600 Meter (500 kHz) angeordnet. Für das Personal eine starke Belastung: Zwölf Stunden Dienst. Außerdem war das Impulsgeben über die Knallfunkensender mit ohrenbetäubendem Lärm verbunden. Das donnernde Betriebsgeräusch der Sender war kilometerweit zu hören.

Durch neue Techniken wurden die Verhältnisse etwas besser und der Dienst weitete sich immer mehr aus. 1914 gab es an Bord deutscher Schiffe bereits 380 Sende- und Empfangsstationen. Der Erste Weltkrieg legte dann den zivilen Seefunkverkehr fast völlig lahm. Erst nach Kriegsende 1919 konnte in Norddeich wieder das erste zivile Telegramm aufgenommen und weitergeleitet werden.

Da die eigenen Sender den Empfang in Norddeich jedoch gravierend störten, wurde eine räumliche Trennung von Sendern und Empfängern beschlossen. So wurde am Stadtrand von Norden (Westgaste) zunächst eine provisorische Empfangsanlage gebaut. Auch dort kam es bald darauf durch die stadtnahe Lage und die zunehmende Bebauung wieder zu Störungen, so daß schließlich 1931 in Utlandshörn eine Empfangsstation gebaut und in Betrieb genommen wurde.

Bald stellte sich heraus, daß die Empfangsstation noch zu dicht an der Sendestelle (heute: Campingplatz Norddeich) stand. Deshalb kaufte die Post 1964 das Gelände und Gebäude des Großrundfunksenders Osterloog, der inzwischen im Besitz des Norddeutschen Rundfunks war, zurück, wo die Sender 1969 ihren Betrieb aufnahmen.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges brach der zivile Seefunkdienst erneut zusammen. Im Mai 1945 besetzten britische und kanadische Soldaten die Hauptfunkstelle Norddeich. Der Sender Osterloog wurde britischer Soldatensender (BFN) und wenig später Sender der Londoner BBC. Erst 1948 durfte „Norddeich Radio“ den öffentlichen Seefunkdienst wieder aufnehmen – zunächst nur auf Kurzwelle, später auch auf Grenz- und Mittelwelle.

Der Aufschwung kam nach April 1951, als die Alliierten wieder Handelsschiffahrt unter deutscher Flagge zuließen: 1957: Bezug von größeren Betriebsräumen, 1958: Seefunkdienst auch auf Ultrakurzwelle (UKW), 1971: Einführung eines neuen Funk-Fernschreibverfahrens und 1981: Anbau an der Westseite des Empfangsgebäudes in Utlandshörn.

Nicht zuletzt die stürmische Entwicklung auf dem Telegrafie- und Telefoniesektor sorgte dafür, daß die Küstenfunkstation bis zu ihrer Glanzzeit (1981) immer auf dem neuesten Stand der Technik war, 1981 wurde mit knapp 600 000 Telegrammen, Funkgesprächen und Fernschreiben das höchste jemals dort erreichte Verkehrsaufkommen registriert. Damals waren bei „Norddeich Radio“ 260 Mitarbeiter beschäftigt. Bedient wurden Grenzwelle, UKW, Kurzwelle mit Morsefunk, Sprechfunk und Fernschreibübermittlung.

Dann ging‘s bergab: Die neue Satellitentechnik verdrängte den weltweiten Seefunkdienst. Die Zahl der Beschäftigten ging stetig zurück und ist inzwischen auf rund 80 Mitarbeiter zurückgegangen.

Nach und nach wurden die Dienste abgeschaltet; Ende 1995: Mittelwelle mit Telegrafie auf 500 kHz; September 1996: Morsetelegrafie auf Kurzwelle; November 1996: Sprechfunk auf Kurzwelle; Dezember 1996: Sprechfunk auf Grenzwelle (2182 kHz); September 1997: Funkfernschreiben; Dezember 1997: Schließung Osterloog; 31. Dezember 1998: Schließung „Norddeich Radio“ ... Ende.


Endgültig ausgedient
Text und Bilder aus: KURIER 14. Juli 1999
Auch die Antennen bei „Norddeich Radio“ haben jetzt – bis auf eine – endgültig ausgedient. Nachdem der Betrieb der ehemaligen Küstenfunkstelle in Utlandshörn zum Ende des vergangenen Jahres eingestellt wurde (wir berichteten ausführlich), ist am vergangenen Dienstag gegen 15.20 Uhr nunmehr der letzte, nicht mehr benötigte Mast gefällt worden. Detlef Guhl hat den Sturz der Anlage miterlebt und für den KURIER im Bild festgehalten. Das Stahlgerüst wurde angesägt und anschließend mit Seilen von einem Bagger umgeknickt. Eine Antenne (zweites Foto, im Hintergrund) durfte stehenbleiben. Sie wird von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen genutzt, die den Seenotrufdienst auf den Kanälen 16 und 70 übernommen hat. (ma). Fotos: Guhl
 

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Version: 24-Nov-99 / HBu