(ma)
Die Geschichte der legendären Küstenfunkstelle „Norddeich Radio“,
die viele Jahre lang die einzige Verbindung zwischen den Menschen auf See
und denen an Land darstellte, begann 1907. Der Deutsche Kaiser Wilhelm
II. war 1905 mit seinem Dampfer „Hamburg“ auf der Rückreise einer
Mittelmeerfahrt und wollte einen Text über die von Engländern
betriebene Marconi-Station auf Borkum aufgeben. Der Monopolist Marconi
nahm aber Funktelegramme von Kunden, die fremde Anlagen an Bord hatten
nicht an und wies den kaiserlichen Auftrag ab.
Wilhelm
II. wurde darüber so böse, daß er das Reichspostamt anwies,
sofort eine eigene, firmenunabhängige Küstenfunkstelle zu errichten.
Es wurde ein Gelände hinter dem Seedeich bei Norddeich gefunden, und
schon zwei Jahre später – am 1. Juni 1907 – wurde der „allgemeine
öffentliche Seefunkverkehr“ eröffnet. Mit ihren überragenden
Reichweiten auf der 2 000-Meter-Welle rückte die Station Norddeich
von Beginn an auf einen der ersten Plätze der bis dahin existierenden
Küstenfunkstellen in Europa.
Um
Hilfe in Seenot zu ermöglichen, wurde schon zu dieser Zeit eine dauernde
Hörbereitschaft auf der Welle 600 Meter (500 kHz) angeordnet. Für
das Personal eine starke Belastung: Zwölf Stunden Dienst. Außerdem
war das Impulsgeben über die Knallfunkensender mit ohrenbetäubendem
Lärm verbunden. Das donnernde Betriebsgeräusch der Sender war
kilometerweit zu hören.
Durch
neue Techniken wurden die Verhältnisse etwas besser und der Dienst
weitete sich immer mehr aus. 1914 gab es an Bord deutscher Schiffe bereits
380 Sende- und Empfangsstationen. Der Erste Weltkrieg legte dann den zivilen
Seefunkverkehr fast völlig lahm. Erst nach Kriegsende 1919 konnte
in Norddeich wieder das erste zivile Telegramm aufgenommen und weitergeleitet
werden.
Da
die eigenen Sender den Empfang in Norddeich jedoch gravierend störten,
wurde eine räumliche Trennung von Sendern und Empfängern beschlossen.
So wurde am Stadtrand von Norden (Westgaste) zunächst eine provisorische
Empfangsanlage gebaut. Auch dort kam es bald darauf durch die stadtnahe
Lage und die zunehmende Bebauung wieder zu Störungen, so daß
schließlich 1931 in Utlandshörn eine Empfangsstation gebaut
und in Betrieb genommen wurde.
Bald
stellte sich heraus, daß die Empfangsstation noch zu dicht an der
Sendestelle (heute: Campingplatz Norddeich) stand. Deshalb kaufte die Post
1964 das Gelände und Gebäude des Großrundfunksenders Osterloog,
der inzwischen im Besitz des Norddeutschen Rundfunks war, zurück,
wo die Sender 1969 ihren Betrieb aufnahmen.
Mit
Beginn des Zweiten Weltkrieges brach der zivile Seefunkdienst erneut zusammen.
Im Mai 1945 besetzten britische und kanadische Soldaten die Hauptfunkstelle
Norddeich. Der Sender Osterloog wurde britischer Soldatensender (BFN) und
wenig später Sender der Londoner BBC. Erst 1948 durfte „Norddeich
Radio“ den öffentlichen Seefunkdienst wieder aufnehmen – zunächst
nur auf Kurzwelle, später auch auf Grenz- und Mittelwelle.
Der
Aufschwung kam nach April 1951, als die Alliierten wieder Handelsschiffahrt
unter deutscher Flagge zuließen: 1957: Bezug von größeren
Betriebsräumen, 1958: Seefunkdienst auch auf Ultrakurzwelle (UKW),
1971: Einführung eines neuen Funk-Fernschreibverfahrens und 1981:
Anbau an der Westseite des Empfangsgebäudes in Utlandshörn.
Nicht
zuletzt die stürmische Entwicklung auf dem Telegrafie- und Telefoniesektor
sorgte dafür, daß die Küstenfunkstation bis zu ihrer Glanzzeit
(1981) immer auf dem neuesten Stand der Technik war, 1981 wurde mit knapp
600 000 Telegrammen, Funkgesprächen und Fernschreiben das höchste
jemals dort erreichte Verkehrsaufkommen registriert. Damals waren bei „Norddeich
Radio“ 260 Mitarbeiter beschäftigt. Bedient wurden Grenzwelle, UKW,
Kurzwelle mit Morsefunk, Sprechfunk und Fernschreibübermittlung.
Dann
ging‘s bergab: Die neue Satellitentechnik verdrängte den weltweiten
Seefunkdienst. Die Zahl der Beschäftigten ging stetig zurück
und ist inzwischen auf rund 80 Mitarbeiter zurückgegangen.
Nach
und nach wurden die Dienste abgeschaltet; Ende 1995: Mittelwelle mit Telegrafie
auf 500 kHz; September 1996: Morsetelegrafie auf Kurzwelle; November 1996:
Sprechfunk auf Kurzwelle; Dezember 1996: Sprechfunk auf Grenzwelle (2182
kHz); September 1997: Funkfernschreiben; Dezember 1997: Schließung
Osterloog; 31. Dezember 1998: Schließung „Norddeich Radio“ ... Ende.
Endgültig
ausgedient
Text
und Bilder aus: KURIER 14. Juli 1999
Auch die
Antennen bei „Norddeich Radio“ haben jetzt – bis auf eine – endgültig
ausgedient. Nachdem der Betrieb der ehemaligen Küstenfunkstelle in
Utlandshörn zum Ende des vergangenen Jahres eingestellt wurde (wir
berichteten ausführlich), ist am vergangenen Dienstag gegen 15.20
Uhr nunmehr der letzte, nicht mehr benötigte Mast gefällt worden.
Detlef Guhl hat den Sturz der Anlage miterlebt und für den KURIER
im Bild festgehalten. Das Stahlgerüst wurde angesägt und anschließend
mit Seilen von einem Bagger umgeknickt. Eine Antenne (zweites Foto, im
Hintergrund) durfte stehenbleiben. Sie wird von der Deutschen Gesellschaft
zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen genutzt, die den Seenotrufdienst
auf den Kanälen 16 und 70 übernommen hat. (ma). Fotos: Guhl
Version:
24-Nov-99 / HBu
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