Slaby
folgt in Deutschland
Die
Artikel über die neue »drahtlose Telegrafie« in Fachblättern
sowie in der allgemeinen Presse bewirkten, dass sich besonders in England,
Deutschland und Frankreich Wissenschaftler und Techniker damit beschäftigten.
Wegen des Fehlens von Messgeräten und vor allem der theoretischen
Grundlagen gab es keine richtige Vorstellung z. B. über die Wirkung
von Antenne und Erde, über die Länge der erzeugten und verwendeten
Wellen. Gedankenexperimente waren daher unmöglich, es konnte nur probiert
werden. Marconis Schaltung wurde nachgebaut, Bauteile wurden umkonstruiert,
Antennen an Drachen und Fesselballone gehängt oder vieldrähtig
zwischen Masten oder Schornsteinen, Fritter der verschiedensten Formen
und Füllungen ausprobiert, neue Schaltungen vorgeschlagen und Patente
angemeldet. Hauptbestreben war, die Reichweite der Anlagen zu erhöhen,
ihre Abstimmfähigkeit zu verbessern, um möglichst mehrere Stationen
gleichzeitig zu betreiben und die Wirkungen atmosphärischer Störungen
zu vermindern. Es entbrannten Prioritätsstreite und Konkurrenzkämpfe,
besonders, als sich von etwa 1900 an die Industrie einschaltete und Schiffs-,
Küsten- und Militärstationen fertigte.
In
Deutschland machte Prof. A. Slaby, der bei Marconis Erfolgen am Bristolkanal
anwesend war, noch 1897 mit Unterstützung des Kaisers bei Berlin eigene
Versuche. Seine bis zu 300 m langen Antennen hingen an Fesselballonen einer
Heeres-Luftschifferabteilung, überbrückt wurden 21 km, 1898 sogar
60 km.
Wie
Marconi arbeitete Slaby bei seinen ersten Anlagen noch ausschließlich
mit dem offenen Schwingungskreis (Funkenstrecke direkt in der Antenne),
dessen leistungsbestimmende Kapazität von Antenne und Erde gebildet
wird. Die Wellenlänge betrug etwa 4 x Antennenhöhe, bei 300 m
langen Drähten also rund 1 200 m (Langwelle), entsprechend 250 kHz.
Die Amplituden der HF-Schwingungen der einzelnen Wellenzüge klangen
nach etwa 8 Schwingungen auf Null ab (Größenordnung). Bei 50
Funken je Sekunde und etwa 1/30 000 Sekunde Daür der einzelnen Schwingungszüge
sind die Pausen dazwischen rund 600mal länger als diese selbst - eine
äußerst schlechte Energiebilanz. Die Funkenfolge ließ
sich bei den offenen und z.T. mehrere Zentimeter langen Funkenstrecken
kaum erhöhen, da dann der Funke infolge des aufgeheizten, elektrisch
leitenden (ionisierten) Entladungskanals in einen Lichtbogen überging,
der ein Aufladen des leistungsbestimmenden Kondensators (hier Antenne-Erde)
nicht mehr erlaubte. Ein Erhöhen der Sendeleistung durch Steigern
der Funkenspannung über 50 ... 100 kV entfiel aus Isolationsgründen,
so dass die über die Zeit gemittelte Hochfrequenzleistung der ersten
Marconi- und Slaby-Sender mit 10...20 Watt sehr bescheiden anmutet. Die
Energie der jeweils ersten Halbschwingungen der kurzen und abklingenden
Wellenzüge bei jeder Funkenentladung betrug dabei jedoch überschlägig
25 kW, was für das Ansprechen der Fritter im Empfänger günstig
war.
Slaby
entwickelte dann mit seinem Assistenten Graf Arco verschiedene Senderschaltungen,
um vor allem den Funkbetrieb auf Kriegsschiffen zu ermöglichen bzw.
zu verbessern. Bereits ab 1899 wurden seine inzwischen von der AEG gefertigten
Funkanlagen (Einzelstücke) mit noch direkt zwischen Antenne und Erde
geschalteten Fritter-Empfängern an Bord von Kriegsschiffen erprobt
und bei 30 m langen Antennendrähten Reichweiten bis zu 48 km erzielt.
Slaby setzte allerdings wie Braun Kondensatoren zur Leistungserhöhung
der Sender ein. Graf Arco erfand ein Verfahren, um die einzelnen Sender
der Stationen mit einem Wellenanzeiger (veränderbare Abstimmspule,
Funkenmikrometer) auf die gleiche Frequenz abzustimmen (Grenzwelle, Mittelwelle).
In seinen Empfängern nutzte Slaby dann ab 1900 die Resonanz eines
als Spule gewickelten Drahtes von 1/4 Wellenlänge aus. Am Ende dieser
an die Antenne geschalteten, »Multiplikator« genannten Resonanzspule
entstand für die empfangene gedämpfte Welle ein Spannungsbauch,
so dass der Fritter besser ansprach. Für den damals angestrebten Mehrfachempfang
gelang es sogar, mit Multiplikator-Empfängern an einer einzigen Antenne
zwei auf verschiedenen Wellen arbeitende Sendestationen gleichzeitig aufzunehmen
(240 m u. 640 m Wellenlänge). Multiplikatoren waren jedoch nur kurze
Zeit in Gebrauch.
Slaby/Arco
benutzten dann (wie auch Marconi) die Resonanz- Überhöhung von
leichter abstimmbaren Parallel- Schwingkreisen. Senderseitig verwendeten
sie ab etwa 1900 abstimmbare Spulen (Abgriffe) und je nach Antennenlänge
im Funkenkreis Leydener Flaschen von 3, 7 oder 14 nF Kapazität. Charakteristisch
für die Slaby-Arco-Sender waren die zylindrischen Behälter für
die Leydener Flaschen (Flaschengehäuse) und die darübergesetzte,
mit Papp- oder Mikanitzylindern geräuschgedämpfte, senkrechte
Funkenstrecke aus Messingstäben. Die verschiedenen Ausführungsgrößen
der von der AEG vor allem für die kaiserliche Marine gefertigten Flaschensender
überbrückten je nach aufgenommener Leistung und Antennenhöhe
unterschiedliche Reichweiten. 1901 gelang es z. B., 150 km zwischen dem
Schnelldampfer Deutschland der HAPAG und der Hafenstation Duhnen (Cuxhaven)
bei nur 32 m Masthöhe einwandfrei mit Frittern und Morseschreibern
zu überbrücken. Obgleich die HAPAG anscheinend noch auf weiteren
Atlantik-Passagierdampfern Slaby/Arco-Anlagen erprobte, wurden diese 1902/03
wieder aufgegeben und 5 Schiffe mit von Marconi-Funkern bedienten Marconi-Anlagen
ausgerüstet. Der Einsatz von Slaby/Arco-Anlagen bei der Marine nahm
jedoch stetig zu. Anfang 1902 waren bereits etwa 30 Kriegsschiffe ausgerüstet,
desgleichen entstanden an der Nordsee- und der Ostseeküste weitere
Marine-Stationen.
Hiervon
hatte auch die Handelsschifffahrt Nutzen, denn diese von der Marine betriebenen
Stationen wurden z.T. auch von den am Ort befindlichen See-Telegrafenanstalten
für den öffentlichen Telegrammverkehr mit Schiffen eingesetzt:
Ab 5. September 1902 die Leuchttürme Bülk (Kieler Bucht), Marienleuchte
(Fehmarn), Arkona (Rügen) und Rixhöft (Danziger Bucht), und ab
4. Februar 1903 Cuxhaven und Helgoland. Es ist anzunehmen, dass alle Marine-Küstenstationen
wie Cuxhaven einheitlich mit 3-kW Slaby/Arco-Knallfunkensendern ausgerüstet
waren (300-1700 m Wellenlänge). Für den Einsatz mit Handelsschiffen
arbeiteten sie auf der Wellenlänge 365 m (ab 26. September 1906 auf
350 m ± 30 m, vermutlich um die Einstell- und Betriebstoleranzen
der Sender abzudecken). Die Reichweite (FritterSchreibempfang) betrug bei
Schiffen mit 30 m hohen Masten 120 km bei normaler Witterung.
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Braun
verbessert 1898 den Sender
Ein
Jahr nach Marconis Versuchen am Bristolkanal benutzte Prof. F. Braun für
die hochfrequente Energieerzeugung einen Schwingungskreis mit Leydener
Flasche, Funkenstrecke und Spule. An diesen Kreis wurde die Antenne galvanisch
oder induktiv angekoppelt (Patent vom Oktober 1898). Infolge der vielfach
höheren Kapazität des Kondensators im Primärkreis gegenüber
der Antennen-Erde-Kapazität des Marconisenders ergab sich darin bei
gleicher Funkenfolge und -Spannung eine erheblich höhere HF-Energie
als bei den ersten Marconi- und Slaby-Sendern. Wegen des Fehlens der dämpfenden
Funkenstrecke im Antennenkreis klangen die gedämpften Wellenzüge
des Braunschen gekoppelten Senders auch nur etwa halb so langsam ab, wirkten
also länger auf den Empfänger ein, der bei Braun mit abgestimmtem
Antennenkreis arbeitete. Vorteilhaft war außerdem, dass die Antenne
frei war von der hohen Spannung der Funkenstrecke und sich dadurch die
Antennenisolation erheblich vereinfachte.

Prinzip-Schaltbild
einer Funkstation nach dem System Prof. Braun
(Um
1900)
Die von
Siemens gefertigten Anlagen nach Braun überbrückten z. B. 1900
mit nur 30 m hohen Antennen 63 km auf der Telegrafenlinie Cuxhaven - Helgoland
und 1902 zwischen Rügen und Köslin 165 km mit 75 m hohen Mehrdrahtantennen.
Nachteilig
beim Braunschen Sender war, dass er je nach Stärke der Kopplung zwischen
dem primären Erregerkreis und dem Antennenkreis gleichzeitig zwei
je nach Kopplungsgrad mehr oder weniger in der Frequenz unterschiedene
Wellen abstrahlte. Dies ist eine grundsätzliche Erscheinung bei gekoppelten
elektrischen Schwingkreisen, selbst wenn jeder Kreis für sich auf
die gleiche Frequenz abgestimmt wird. In der Praxis bedeutete eine feste
Kopplung von Antennen und Primärkreis eine gute Energieübertragung
zwischen beiden. Es entstanden jedoch zwei relativ weit voneinander entfernte
Sendefrequenzen, z. B. 350 und 400 kHz, wenn beide Kreise auf 375 kHz abgestimmt
waren. Da eine der Frequenzen für den Empfang nutzlos war und u.U.
den Betrieb anderer Sender störte, verringerte man die Kopplung, bis
die beiden Frequenzen sehr nahe beieinander lagen. Trotz des dann schlechteren
Wirkungsgrades betrug die abgestrahlte Leistung der Wellenzüge noch
ein Vielfaches der Sender mit Funkenstrecken direkt in der Antenne. Gegenüber
letzteren verringerte sich auch die belegte Bandbreite, so dass der Betrieb
mehrerer Sender im gleichen Wellenbereich leichter möglich war. Als
Funkenstrecken dienten hauptsächlich pilz- und ringförmige Elektroden
(z. B. aus Zink), zwischen denen die oft zentimeterlangen Funken im Rhythmus
der Morsezeichen laut knallend überschlugen. Diese Knallfunkensender
bestimmten die Sendertechnik der Jahre 1897 bis etwa 1908.
Prof.
Braun (Physikalisches Institut Straßburg) konnte wie Prof. Slaby
(T.H. Berlin-Charlottenburg) zwar seine grundlegenden Versuche im Rahmen
der Institutsaufgaben durchfuhren, nicht jedoch den Bau von Funkanlagen
für den praktischen Einsatz. Im Gegensatz zu Slaby, dessen Funksysteme
schon frühzeitig von der AEG übernommen wurden, gründete
Braun kurzlebige eigene Firmen mit Gesellschaften, ehe 1901 in Berlin die
Braun-Siemens-Gesellschaft entstand.
Die
Bedeutung des Braunschen gekoppelten Senders für die Entwicklung der
Funkentechnik war ausserordentlich gross. Um es zeitlich vorwegzunehmen:
1909 erhielt Braun zusammen mit Marconi den Nobelpreis für Physik.
Braun-Siemens
plus AEG-Slaby-Arco = Telefunken
Wie
bereits erwähnt, benutzten Marconi und Slaby ab 1899 wie Braun Kondensatoren
und Spulen in ihren Sendern, um Leistung und Dauer der gedämpften
Wellenzüge zu steigern, und um ohne Ändern der Antenne verschiedene
Wellenlängen einstellen zu können. Der deswegen heftige Patentstreit
zwischen Braun-Siemens und AEG-Slaby-Arco wurde 1903 mit dem Zusammenschluß
der beiden Gruppen zur Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mit
der Kurzbezeichnung Telefunken beendet. Die Leitung der Firma mit zu Anfang
33 Mitarbeitern übernahm Slabys Assistent Graf Arco. Slaby-Arco brachten
dabei ihre Erfahrungen mit den an die Marine gelieferten Funkstationen
ein, die Braungruppe das mit ihren fahrbaren Heeres-Stationen gesammelte
Wissen. Dazu kam noch der Wellenmesser von Franke-Dönitz, der erstmalig
ermöglichte, die Dämpfungsverhältnisse von Schwingkreisen
zu ermitteln und Funkanlagen und Antennen ohne das vorher mühsame
Probieren aufeinander abzustimmen.
Die
Marconi Co. hatte inzwischen ihre Monopolstellung weiter ausgebaut. Sie
rüstete die britische Flotte sowie deren weltweite Landstützpunkte
mit immer mehr Funkgeräten aus, vermietete durch ihre Betriebsgesellschaft
Funkanlagen mit Funkern und gründete im Ausland finanzkräftige
Tochtergesellschaften. Sie versuchte jedoch nicht nur mit der betrieblichen
Ablehnung des Verkehrs mit anderen Funksystemen eine Monopolstellung zu
erreichen, sondern ging auch frühzeitig mit patentrechtlichen Schritten
gegen andere Funkfirmen vor, z.B. aufgrund des Patents Nr. 7777 von 1900.
Die auch gegen Telefunken und die Vorgesellschaften angestrengten Verletzungsklagen
scheiterten jedoch am älteren Braunpatent des gekoppelten Senders,
das seit 1899 auch in England geschätzt war.
Aufbauend
auf den schaltungstechnischen und konstruktiven Einzelheiten der Braun-
und Slaby-Arco-Geräte entwickelte Telefunken neue, verbesserte Funkanlagen
für die verschiedenen Leistungsklassen der Land- und Schiffsstationen
sowie der fahrbaren Militärstationen. In Versuchsanlagen wurde die
Bemessung neuer Bauteile erprobt, wie z.B. die Serienfunkenstrecken nach
Braun-Rendahl, in der je nach Sendeleistung 3, 6 und mehr (20?) nur 5 ...
0,5 mm kurze Funkenstrecken hintereinander geschaltet waren. Die Summenfunkenverluste
verringerten sich dabei gegenüber einer entsprechend langen Einzelfunkenstrecke,
so dass man mit den dadurch möglichen höheren Betriebsspannungen
und Funkenfolgen größere Reichweiten erzielte. Die von Telefunken
1905/06 für die holländische Küstenstation Scheveningen
gelieferte Funkanlage größerer Leistung (3 kW?) war mit einer
gebläsegekühlten Serienfunkenstrecke bestückt.
Der
Vertrieb von Funkanlagen für die zivilen Schiffs- und Küstenstationen
kam als Folge des Marconimonopols nur äußerst schleppend in
Gang, auch in Deutschland. Im März 1905 wurde der Vertrag mit dem
NDL für die veralteten und unabgestimmt im GW-Bereich arbeitenden
Marconi-Anlagen auf Borkum Leuchtturm und Borkum Riff Feuerschiff kurzfristig
aufgrund einer ministeriellen Anweisung aufgehoben. Telefunken baute als
Ersatz auf 365 m Wellenlänge abgestimmte Knallfunkensender mit größerer
Reichweite ein (175 km bzw. 100 km). Inbetriebnahme: 11. Mai 1905. Wegen
der mehr als doppelt so großen neuen Reichweite von Borkum Leuchtturm
verfügte das Reichs-Postamt die Umwandlung der Station Borkum Riff
Feuerschiff ab 1. August 1905 in eine Funktelegrafenstation für beschränkt
öffentlichen Verkehr (schiffsdienstliche Telegramme, Privattelegramme
der Besatzung, mit Flaggensignalen übermittelte Telegramme vorbeifahrender
Schiffe und Funkverkehr in Seenotfällen). Gegenstelle war Borkum Leuchtturm.
Bereits
im Sommer 1904 hatte die Post- und Telegrafenverwaltung mit Planungen einer
Küstenfunkstelle großer Reichweite auf Borkum begonnen (1 000
km). Aufgrund strategischer Bedenken der Marine gegen diesen Standort erwarb
das Postamt Norden am 15. August 1905 ein sumpfiges Gelände mit daher
guten HF-Erdungseigenschaften auf dem Festland bei Norddeich. Die Firma
Telefunken bekam den Auftrag für zwei Sende- und Empfangsanlagen einschließlich
der Antennen und Stromversorgung. Im November 1905 lieferte Telefunken
den kleineren Sender als technische Einheit für die 360-m-Welle (ab
Juli 1908 600 m) für eine Reichweite von 450 km. Der große LW
10 kW Knallfunkensender wurde im Hochspannungsraum des neu errichteten
zweistöckigen Stationshauses aus Einzelteilgruppen zusammengebaut
und verdrahtet. 360 große Leydener Flaschen und 18 kleinere, eine
Tellerfunkenstrecke von etwa 50 cm Durchmesser und 3,5 cm Funkenlänge,
weiter Primärkreis- und Antennen-Abstimmspulen aus Kupferrohr. Dazu
kamen 4 Hochspannungs-Transformatoren 220 V/60 kV, die von zwei Benzinaggregaten
mit Wechselstrom versorgt wurden. Schaltung und Bauteilbemessung entsprachen
höchstwahrscheinlich dem 10-kW-Langwellensender der etwa zur gleichen
Zeit errichteten Telefunken-Versuchsstation Nauen bei Berlin mit der stromsparenden
Resonanz-Schaltung im Primärkreis der Hochspannungstransformatoren.
Die dort eingeschalteten NF-Drosseln waren so bemessen, dass der Wechselstromkreis
aus Generatorausgang und Primärwicklung mit der 50 Hz-Generatorfrequenz
- oder bei sog. »langsamen Funken« mit Teilen davon - in Resonanz
kam (Funkenfolge 1907 in Norddeich 15/s, 1908 auf etwa 30/s und 50/s erhöht).
Als Antenne diente ab April 1906 eine Trichterantenne aus vier Fächern
zu je 4 x 50 Bronzelitzen, die vom Stationshaus zu den Dachseilen zwischen
vier im Quadrat mit 65-m Seitenlänge aufgestellten 65-m-Stahlgittermasten
hochgeführt waren. Da diese Antenne nicht die geforderte Reichweite
hatte - der Einfluss der geerdeten Gittermasten war unterschätzt worden
- , wurden diese durch Aufsätze um 10 m und die Außen-Holzmasten
auf 35 m erhöht. Nach der Inbetriebnahme am 1. Juni 1907 war Norddeich
mit Tagesreichweiten mit der 2 000-m-Welle von 1 200 km bei Schreibempfang
und 1 600 km bei Hörempfang (nachts 1 500 km bzw. über 1 700
km) weltweit eine der größten Küstenfunkstellen. Der kleinere
Mittelwellensender erzielte mit der zwischen den 65 m Masten diagonal verspannten
T-Antenne Reichweiten bis zu 500 km.
Norddeich
arbeitete anfangs hauptsächlich mit Schiffen der Reichsmarine. Der
Telegrammverkehr für die Handelsschiffahrt war wegen der wenigen nicht
mit Marconianlagen ausgerüsteten Schiffe nur gering (z. B. deutsche
Schiffe: 4 NDL, 6 HAPAG, 6 HSAL, 3 Kiel-Korsör-Linie, 1 Blumenfeld
Hamburg). Der Betrieb im öffentlichen Seefunk nahm erst zu, als nach
Inkrafttreten des internationalen Berliner Funkvertrages von 1906 am 1.
Juli 1908 zumindest für den Funkverkehr Schiff - Küstenfunkstelle
die systembedingten Einschränkungen wegfielen. Englische und italienische
Schiffe lehnten jedoch nach wie vor den Telegrammaustausch mit nicht mit
Marconianlagen ausgerüsteten Schiffen ab. Für deutsche Schiffe
änderte sich dies ab 1911 mit der Gründung der Deutschen Betriebsgesellschaft
für drahtlose Telegraphie (DEBEG), in der auch die Engländer
mit vertreten waren. Mit dem internationalen Funkvertrag von London 1912
(Inkrafttreten 1. Juli 1913) entfielen alle systembedingten Einschränkungen
im Seefunk.
Nicht
nur wegen des Wegfalls der Einschränkungen Schiff - Küstenfunkstelle
begann 1908 bei Telefunken der Aufschwung mit Lieferungen von Funkeinrichtungen
für Schiffe, sondern vor allem wegen des Ersatzes des Braunschen Knallfunkenverfahrens
durch die Löschfunkentechnik. Allerdings musste hierfür erst
einmal der Hörempfang den Schreibverkehr verdrängen.
Vom
Morseschreiber zum Hörempfang
Die
ersten Jahre der Funkentelegrafie waren durch die Knallfunkentechnik der
Sender gekennzeichnet. Weiter bestimmten die unberechenbar arbeitenden
Körnerfritter in ihren vielfältigen Ausführungsformen den
Empfängerbau. Im Ausland - besonders in den USA ging man daher ab
etwa 1900 auf Hörempfang mit Kopfhörer über, der auch das
schwierige Einstellen der von Frittern gesteuerten polarisierten Relais
überflüssig machte. Außerdem wurde bei gleicher Senderleistung
die Reichweite z.T. mehr als verdoppelt. Um es vorwegzunehmen: In Deutschland
war der Übergang zum Hörempfang eine langwierige Angelegenheit.
Sowohl die Post als auch die kaiserliche Marine und das Heer bestanden
wie in der Drahttelegrafie auf dem vom Morseschreiber gelieferten Streifen
als Dokument. Erst nach Einführung des Löschfunkensystems mit
den im Kopfhörer sehr gut lesbaren tonfrequenten Morsezeichen ging
1908/09 die Marine zum Hörempfang über, etwa vier Jahre nach
der Handelsmarine.
Doch
um vom Fritter mit Morseschreiber zum Hörempfang
zu kommen, mussten erst Bauelemente gefunden werden, die die empfangenen
gedämpften HF-Schwingungen in hörbare Zeichen umformten. Zu Anfang
waren dies vor allem unvollkommene Kontakte, die beim Durchgang von HF
ihren Widerstand unregelmäßig änderten und ebenfalls als
Fritter bzw. Kohärer bezeichnet wurden. Man schaltete sie in einen
Stromkreis aus Trockenelement und Fernhörer, in dem dann die Widerstandsschwankungen
während der empfangenen Wellenzüge hörbar waren. Popow setzte
einen derartigen Hörfritter bereits 1899/1900 ein (Glasröhrchen
mit einer Füllung aus zerstoßenen gehärteten Stahlkügelchen
zwischen Platin-Elektroden). Weiter arbeiteten Solari und Tommasina bei
den Empfängern der italienischen Marine und Marconi bei der ersten
Atlantiküberbrückung 1901 mit Quecksilberkügelchen zwischen
Kohle- und Eisenelektroden. Etwa zur gleichen Zeit konstruierte Köpsel
(Braun-Siemens) einen elektrisch sehr empfindlichen Mikrophonfritter, bei
dem eine harte Graphitspitze gegen ein federnd befestigtes poliertes Stahlplättchen
drückte, eingesetzt z.B. neben dem Köpselschen Stahlkohärer
für Schreibempfang bei den Helgolandversuchen 1901 (Braun, Zenneck,
Köpsel) und bei den Versuchen auf Rügen 1902/03 (Eichhorn).
In
den USA benutzte Prof. Fessenden die Widerstandsänderungen eines nur
0,0015 mm starken und 0,4 mm langen Platindrähtchens bei Erwärmung
durch HF zum Hörbarmachen. Marconi setzte nach Vorarbeiten von Rutherford
1896 ab 1902 Hörempfang mit magnetischen Detektoren ein. Bei der ersten
Ausführung drehte sich ein Hufeisenmagnet über einem kleinen
Transformator mit offenem Eisendrahtkern. Antenne und Erde waren direkt
an die Primärspule angeschlossen, der Hörer an die Sekundärspule.
Sobald Wellenzüge HF-Spannungen in der Antenne induzierten, wurde
im Hörer eine Knackfolge mit der Frequenz der Funkenfolge des Senders
hörbar. Noch 1902 entwickelte Marconi einen verbesserten magnetischen
Detektor mit umlaufendem Eisenlitzendraht und Abstimmspule bzw. Anschluss
an einen Schwingkreis. Uhrwerke zogen den Draht als endlose Schleife durch
ein Glasröhrchen zwischen zwei Hufeisenmagneten, das primär mit
etwa 45 Windungen Kupferdraht bewickelt war. An die 140-Ohm-Sekundärwicklung
wurde der Kopfhörer angeschlossen. Der erste Magnet magnetisierte
das Seilchen, vom zweiten wurde es wieder entmagnetisiert. Trafen Wellenzüge
ein, schwächten diese die Magnetisierung des ersten Magneten, was
eine Knackfolge im Hörer hervorrief. Marconi setzte seinen bedienungseinfachen
Detektor noch bis etwa 1912 neben Kristalldetektoren und den ersten Röhrengleichrichtern
in großer Stückzahl in Empfängern ein, obgleich er unempfindlicher
als die Kristalldetektoren war.
Da
Magnet-Detektoren wie die Feilichtfritter nur auf die ersten stärksten
Schwingungen der empfangenen Wellenzüge ansprachen, erzielte Schloemilch
(AEG/Telefunken) 1903 mit seiner offensichtlich alle Schwingungen ausnutzenden
Elektrolytischen Zelle bessere Resultate. In einem Glasgefäß
tauchten zwei Platindrähte als Elektroden in verdünnte Schwefelsäure.
Das eine, sehr dünne Drähtchen (0,002 ... 0,003 mm o) war glasummantelt
und ragte nur ein kurzes Stückchen aus seiner Glashülle. HF-Spannungen
verringerten den Ruhewiderstand (einige tausend Ohm) zwischen den Elektroden.
Mit einer in Reihe geschalteten einstellbaren Gleichspannung entstanden
aus den Stromänderungen Rauschfolgen im Rhythmus der Wellenzüge.
Die Erfolge mit den elektrolytischen Zellen u.A. in den Empfängertypen
E4 und Z.M. in Telefunkenanlagen
führten auch zu Versuchen anderer Forscher mit flüssigen Elektrolyten,
wie z. B. Fessenden 1904 in den USA, Ferrié 1905 in Frankreich.
Telefunken brachte sogar 1912 noch eine umschaltbare Mehrfachzellen-Anordnung
heraus, den Dreispitzen Detektor.
Der
Einsatz von Kristalldetektoren nach Braun (u.A. im Empfänger
E5 von Telefunken) war ab etwa 1906 ein großer Fortschritt im
Hörempfang. Die Detektoren wurden zwischen Empfängerschwingkreis
und Hörer geschaltet und »demodulierten« die Wellenzüge
der Knallfunkensender durch Gleichrichtung, so dass die Funkenfolgen der
Knallfunkensender von 20 ... 50 ... 100 Hz als Knarren hörbar wurden.
(Die Sender wurden auch als Knarrfunkensender bezeichnet.) Da bei HF-Gleichrichtung
alle Schwingungen der Wellenzüge zur Wirkung beitragen, stiegen Empfängerempfindlichkeit
und damit die Reichweite je nach dem Verhältnis »Durchlasswiderstand
zu Sperrwiderstand« des verwendeten Detektors z.T. sogar gegenüber
den elektrolytischen Zellen.
Kristalldetektoren
bestehen aus zwei Elektroden mit punktförmiger Berührung, von
denen eine ein Mineral ist (Pyrit, Bleiglanz, Kupferkies, Molybdänglanz),
die andere eine Metall- oder Graphitspitze. Bei einigen Detektoren benutzte
man auch zwei sich annähernd punktförmig berührende Mineralien
(z.B. Rotzinkerz-Kupferkies). Einige Mineralien arbeiten besser mit einer
geringen Vorspannung (Größenordnung 1 V =), wie z. B. Pyrit,
Wismutglanz u.ä. Es wurde sehr viel mit Kristalldetektoren experimentiert,
um eine hohe elektrische Empfindlichkeit, leichte Einstellbarkeit, hohe
Standfestigkeit der Kontaktstelle und Unempfindlichkeit gegen elektrische
Überlastungen durch eigene Sender oder Gewitterstörungen zu erreichen.
Die
Punkte mit Gleichrichterwirkung auf der Oberfläche eines Minerals
müssen in der Regel gesucht werden. Da die Gleichrichtung auch vom
Kontaktdruck abhängig ist, muss dieser einstellbar sein. Es gab sehr
einfache Konstruktionen, wie den Marconi-Detektor, wo ein Griffel mit Kontaktspitze
in einem Kugelgelenk über dem Kristallbrocken bewegt werden konnte,
um die Stelle günstigster Gleichrichtung zu finden. Andere Firmen
fertigten mechanisch sehr aufwendige Ausführungen mit Stellschrauben
für den Ort der Kontaktstelle sowie den Kontaktdruck.
Die
Kristalldetektoren bestimmten dann auch die Empfängerschaltungen besonders
nach Einführung der Stoßerregung im Telegrafiesenderbau ab 1908
(Löschfunken, rotierende Funkenstrecken). Desgleichen waren sie ab
1907 wichtige Bauteile in den Empfängern für Funktelefonie mit
ungedämpften Wellen (Lichtbogen- und Maschinensender). Erst
nach dem Ersten Weltkrieg lösten Röhren-Audion-Empfänger
mit wesentlich höherer Empfindlichkeit und Trennschärfe zusammen
mit den Röhrensendern die Detektorenempfänger der Funkstationen
ab. Im privaten Bereich folgte jedoch mit Beginn des Unterhaltungsrundfunks
ab 1923 nochmals ein Aufschwung mit den preiswerten Detektorenempfängern
im Nahbereich von Ortssendern, bis sie von leistungsfähigen Röhrengeräten
mit Lautsprechern verdrängt wurden.
Zum
Teil 1: Faraday - Maxwell - Oerstedt - Hertz - Branly - Popow - Marconi
Zum
Teil 3: Der Aufschwung mit den tönenden Funken
Zum
Teil 4: Die drahtlose Telegrafie mit gedämpften Wellen bekommt
Konkurrenz
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