Erinnerungen an den Funkbetrieb in der Hochseefischerei
Bericht: ©  Hans Wölbing

Der erste Fischdampfer, auf dem ich als Funker 1951 anmusterte, war die "Imsum" / DAFW der Reederei E. Glässel in Bremerhaven. Die Funkanlage dieses Schiffes mit seinen Vorkriegsgeräten war schon beim damaligen Stand der Technik altes Eisen. Ein Zweikreis-Geradeausempfänger, Brotkiste genannt, bildete das Kernstück. Ein durchstimmbarer 100-Watt-Sender für Grenz- und Mittelwellen mit einer erbärmlichen Frequenzkonstanz gehörte auch dazu. Der Funkbetrieb über See, mit der Funktelegrafie als seinerzeit schnellste und sicherste Nachrichtenübermittlung mit den damals handbetriebenen Morsetasten und etwa 120 möglichen Zeichen pro Minute, war auch die Basis für eine laufende Unterrichtung der Schiffe untereinander, der Reedereien und der Fischmärkte.

Zum auf die Belange der Fischerei ausgerichteten Tätigkeitsfeld des Funkers zählten natürlich neben dem allgemeinen Seefunkdienst und dem Senden und Empfangen von Telegrammen auch Wetterberichte, nautische Nachrichten, Seenotmeldungen u.a. Eine umfassende Gemeinschaftsaktion aller auf See befindlichen Trawler waren die sogenannten Fänge (Fangmeldungen). Hinter diesem Kürzel verbarg sich ein durch Telegrafiefunk getragenes Informationssystem zur Verbreitung der Fang- und Heimreiseangaben. Täglich zu vier festgesetzten Zeiten, mit dem Hauptprogramm um 18 Uhr (mitteleuropäischer Zeit), wurde von den Kapitänen der in den vorangegangenen 24 Stunden aufgelaufene Tages- und Gesamtfang mitgeteilt. In den übrigen Zeiten, morgens, mittags und nachts, wurden dagegen nur Zwischenergebnisse übermittelt. Um diese Meldungen einzusammeln, fiel auf jedem Fangplatz dem Funker des Schiffes, das zuerst in diesem Seegebiet eingetroffen war, die Leitung zu. Wenn dieses Schiff dann auf Heimreise ging, übernahm der zuletzt Angekommene die Aufgabe. Auf diese Weise kam im Laufe der Zeit jeder einmal an die Reihe, diese aufwendige Arbeit zu erledigen.
Der Leitschiffsfunker forderte zu den Programmzeiten auf der Frequenz 1621 bzw. 1609 kHz die Schiffe nacheinander namentlich auf, per Telegrafie unter ihren Rufzeichen (Unterscheidungssignalen) Meldung zu machen. Sobald alle Angaben mitgeteilt waren, nahm er zu den Leitschiffen entfernterer Fangplätze Verbindung auf, um mit ihnen die Ergebnisse auszutauschen. Dies geschah, je nachdem wo sich fischende Fahrzeuge befanden, über weite Strecken, wie vom
Englischen Kanal nach Spitzbergen und Island, von der Barentssee nach Grönland und später auch nach Labrador und Neufundland. Da bei diesen Entfernungen auf den vorgenannten Frequenzen oft keine direkte Verbindung zustande kam, schalteten sich Kollegen von unterwegs oder von dazwischen liegenden Fangplätzen zur Vermittlung ein. Auf diese Weise baute sich jedesmal eine zur deutschen Küste hin tendierende Funkverkehrskette auf, die wir die Linie nannten. Auf den übrigen, weder an der Leitung nach an der Vermittlung beteiligten Schiffen, hörten und schrieben die Funker natürlich alles mit. Oft schaute mir der Kapitän dabei über die Schulter. Das schien für ihn wohl spannender zu sein, als anschließend die gesammelten Werke zu lesen. Wenn schließlich von über 150 Fischdampfern die gesamten Ergebnisse der Tages- und Gesamtfänge mit Angabe der Fangplätze sowie der Heimreisedaten samt beabsichtigtem Markttag und eine genaue Aufschlüsselung über Art und Menge der anzulandenden Fische bei einem Funker an der deutschen Nordseeküste vorlagen, wurden diese von ihm über Norddeich Radio per Funktelefon an den Wachdienst der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft in Bremerhaven übermittelt. Am nächsten Tag hatten die Reedereien und Fischmärkte das Resultat vorliegen.
Die Funkverkehrskette "Die Linie" diente, begleitend zu den Fangmeldungen, gleichzeitig zur Vermittlung von Telegrammen von und an Norddeich bzw. Elbe-Weser Radio. Natürlich wurden auch andere Mitteilungen von und nach Land oder von Schiff zu Schiff gesendet. Im Laufe der Zeit, nachdem die Funkstationen der neueren Schiffe mit Kurzwellensendern ausgestattet worden waren, konnte auf diese Art der Vermittlung weitgehend verzichtet werden.
Für viele Kapitäne lag der Wert seines Funkers auch in der engen fachlichen wie menschlichen Zusammenarbeit während der bis zu drei gemeinsamen Wochen auf  See. Was des Kapitäns Nase, ist oft des Funkers Ohr, hieß es daher. Welche Fischgründe angesteuert werden sollten, war im Einvernehmen mit der Reederei Sache des Kapitäns. Es konnten jedoch Umstände eintreten, die eine Umdisponierung erforderlich machten, wenn z. B. die Fangergebnisse auf dem beabsichtigten Fangplatz nicht mehr ergiebig genug waren oder auch eine Übersättigung des Marktes mit einer bestimmten Fischsorte vorlag. Das war dann die Stunde des Funkers, dann wollte der Alte wissen, was außerhalb der offiziellen Tagesmeldungen herauszuhören war. Kein Kapitän, der ganz für sich allein oder mit einigen anderen Schiffen dicke Säcke einfing, konnte das lange geheimhalten. Stolz auf seinen Erfolg, wollte er es vielleicht einen befreundeten Kapitän und zwangsläufig die Reederei wissen lassen, ohne daß sonst jemand Wind davon bekam. Es war erstaunlich, zu welchen Verschleierungstricks da gegriffen wurde.
Doch jeder Code war zu knacken. Das Einfühlungsvermögen und die Erfahrung, aus den scheinbar belanglosen Mitteilungen die richtigen Schlüsse zu ziehen, grenzten schon fast an Geheimdienstmethoden. Um noch einen weiteren Anhaltspunkt für den Standort eines funkenden Schiffes zu bekommen, hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, nach Möglichkeit eine Funkpeilung zu erstellen, denn die Richtung, in der der Dampfer sich befand, ließ zusätzliche Schlüsse zu.
Kreuzte die so ermittelte Standlinie auch noch eine Tiefenlinie (Schelfkante), dann war die Position deutlich erkennbar. Eine weitere Möglichkeit, den Standort eines Gegners ausfindig zu machen, war das Mitlesen von Wettertelegrammen, sogenannte OBS, die über Norddeich oder Elbe-Weser Radio abgesetzt wurden. Zu all dem gehörten nur etwas Glück und die Kenntnis der richtigen Frequenzen und Sendezeiten. Allerdings war diese Mithörerei mit nur einem bzw. zwei Empfängern mühselig. Deshalb wurden die Empfangsanlagen mit der Zeit immer umfangreicher, bis zu fünf Empfänger waren bald die Regel. Damit konnten einige wichtige Frequenzen laufend überwacht werden. Ganz ohne Kurbelei, d.h. Absuchen der Skala, ging es trotzdem nicht. Im eigentlichen Sinne war der Funkpeiler natürlich für die Navigation gedacht und sollte als Hilfsmittel der eigenen Ortsbestimmung dienen, wenn tagelang weder Sonne noch Sterne zu sehen waren.
Auf dem Fangplatz, wenn die Nautiker mit der Fischverarbeitung alle Händevoll zu tun hatten, überließ der Kapitän oftmals mir die Funknavigation. Ganz besonderer Wert wurde auf meine Mithilfe gelegt, als wir mit der Karlsruhe der Nordsee-Reederei, als einem der ersten deutschen Fischdampfer, im Juli 1955 über den Atlantik um Cape Farewell nach Westgrönland fuhren. Zum Funkpeilen mußte ich auf die im Nordatlantik stationierten Wetterschiffe und die Sendungen von Küstenfunkstellen zurückgreifen. Das klappte gut. Zudem kamen Aufgaben auf mich zu, die auf den bislang befahrenen Seegebieten nicht zu erfüllen gewesen waren: So mußten die Eiswarnsendungen von Halifax Radio in Kanada und die spezielle Wetterkartenanalyse-Sendung von Portishead Radio abgehört werden. Dabei handelte es sich um Zifferngruppen, die verschlüsselt Markierungspunkte der Isobaren und Fronten enthielten. Anhand dieser Angaben konnte ich auf eigens dafür vorgedruckten Meteo-Karten Punkte vermerken und die entsprechenden Linien einzeichnen. Nach den so erstellten Wetterkarten konnte der Kapitän den entsprechenden Kurs über den Atlantik bestimmen, um auf der Fahrt nicht Wind und Wetter von vorn zu bekommen.
Grundlage einer Wetterkarte ist die jeweilige Wetterlage. Diese wird in zwischenstaatlicher Zusammenarbeit anhand der Wettermeldungen von Landstationen und Schiffen auf See erstellt. Je mehr solcher Wettermeldungen vorliegen, desto genauer kann die Entwicklung des Wettergeschehens beurteilt werden. Weltweit werden bzw. wurden deshalb alle drei Stunden zu festgesetzten Zeiten, den sogenannten synoptischen Terminen, um 0300, 0600, 0900 UTC (Temps Universel Coordonné) Messungen und Beobachtungen durchgeführt und die Ergebnisse an die dafür zuständigen meteorologischen Institute, in Deutschland das Wetteramt Hamburg, geschickt. Auf deutschen Fischdampfern war es in der Regel Aufgabe des Funkers, diese Beobachtungen zu machen. Jeweils zu den vorgenannten Zeiten mußte ich meine warme Funkbude verlassen und draußen an Luvseite folgende Werte ermitteln: Windgeschwindigkeit und stärke, Seehöhe (Wellenhöhe), eventuell eine anders verlaufende Dünung, Lufttemperatur, Wassertemperatur mittels Gummiaufschlagpütz, Bewölkungsart, Niederschlagsart und -menge, Luftdruck mit seiner Tendenz (steigend oder fallend). Diese ermittelten Werte wurden in eine Meteo-Kladde eingetragen und anschließend, in Zifferngruppen verschlüsselt, als Wettertelegramm, sogenanntes OBS, an Norddeich Radio abgesetzt. Als besonderer Kundendienst des Seewetteramtes wurde den Reedereien mitgeteilt, wo sich ihr Dampfer befand. Denn ein OBS mußte die Positionsangabe des meldenden Schiffes enthalten.
Zu unserer ersten Fangreise durch eisverseuchtes Gebiet nach Westgrönland bekamen wir zusätzlich ein Radargerät eingebaut. Da zu jener Zeit in Deutschland diese Geräte noch nicht gebaut werden durften, handelte es sich um ein englisches Fabrikat mit dem schönen Namen Pathfinder. Nach drei Tagen auf See gab der Apparat seinen Geist auf. Es gelang mir aber, bevor wir Cape Farewell erreichten, den Kasten wieder zum Laufen zu bringen.
Drei Jahre später war ich an Bord der wesentlich moderneren "Regensburg“ / DENR. Fahrten nach Labrador und Westgrönland waren inzwischen schon zur Routine geworden. Die Funkanlage war mit vier Superempfängern und drei Sendern für Mittel-, Kurz- und Grenzwellen ausgerüstet. Dazu verfügte die Brücke über ein UKW-Sprechfunkgerät. Die nautische Ausrüstung ließ auch keine Wünsche offen. Die beiden Echolote hatten eine optische und graphische Tiefenanzeige und waren mit einer sogenannten Fischlupe gekoppelt. Die "Regensburg" war für den Nordatlantik mit dem Funkortungssystem LORAN, für die Nordsee mit einem DECCA-Navigator ausgestattet. Außerdem verfügte das Schiff über einen modernen dieselelektrischen Antrieb und einem Verstellpropeller, der von der Brücke aus steuerbar war. Einmal ging uns ein Flunken dieses Propellers durch Eisgang verloren.
Eine sechswöchige Forschungsreise der "Regensburg" im Juni 1960 nach Neufundland und Labrador, mit Dr. Messtorf vom Fischerei-Institut als Expeditionsleiter, war für uns besonders interessant. Als alleiniger westdeutscher Trawler trafen wir dort auf eine schon fischende Rostocker Fangflotte. Die Kontaktaufnahme mit dem Kollektivleiter und den Funkern sowieso war erfrischend und aufschlußreich. Einen Ost-West-Konflikt gab es nicht. Die Verfolgung des Funkverkehrs der dort auch fischenden sowjetischen Fangflotte brachte gute Ergebnisse. Ich konnte den Inhalt ihrer Mitteilungen zwar nicht entschlüsseln, aber die Art und Weise der Funkverkehrsabwicklung war vielsagend. Dabei half mir wieder die altbewährte Funkpeilmethode. Ich konzentrierte mich auf denjenigen, der am meisten sendete und peilte ihn ein. Wenn dann die Peilung stand, d.h. sich die Richtung nicht mehr veränderte, konnte es nur der sein, der die anderen zu sich rief, weil er die meisten Fische fing. Und genauso war es auch.

Die Wege, auf denen Menschen zur Hochseefischerei kamen, waren vielfältig. Zum Teil war es Zufall, und so wie bei mir, dem Jungen aus dem Spreewald, erging es vielen anderen. Ursprünglich wollte ich einmal Kapitän auf Großer Fahrt werden. Deshalb begann ich 1942 meine seemännische Ausbildung auf der Schiffsjungenschule Stettin in Ziegenort. Nach Kriegsende gab es in Deutschland vorerst keine Handelsschiffe mehr. Dank meiner Segelschiffspraxis konnte ich ab August 1945 im Ausrüstungsbetrieb der Vegesacker Heringsfischerei als Takler und Segelmacher arbeiten. Die während des Krieges als Hilfskriegsschiffe eingesetzten Logger wurden nun wieder in Fischereifahrzeuge zurückgerüstet. Leider war damals auch für mich die Nahrungsknappheit ein Problem. Also musterte ich als Leichtmatrose auf dem von mir mit aufgetakelten Logger "Sperber" an, um mich auf See an Fisch sattessen zu können. Im Jahr darauf fuhr ich als Matrose auf dem Fischdampfer "Lützow" von Bremerhaven aus. Wegen eines schweren Unfalls auf See mußte ich den Decksdienst und meinen Traum, Kapitän zu werden, aufgeben (vgl. Deutsche Schiffahrt 1/93, S. 13 ff.). Da ich ein leidenschaftlicher Radiobastler war, ging mein Berufswechsel auch in diese Richtung. Nach der entsprechenden Ausbildung erwarb ich 1951 in Bremen mein erstes Funkpatent und war zunächst weiterhin in der Hochseefischerei tätig. Als sich in den sechziger Jahren das große Sterben der stolzen Fischereiflotte abzuzeichnen begann, wechselte ich in den gemächlicheren Funkdienst auf Handelsschiffen. Aber auch deren Zukunft war ungewiß. Sowohl die fortschreitende Ausflaggung als auch das Ende des herkömmlichen Funkdienstes zwangen mich schließlich zu einem totalen Berufswechsel in eine Landstellung. In den 14 Jahren, die ich in der Hochseefischerei arbeitete, brachte ich es immerhin auf 150 Fangreisen. Davon gingen 44 nach Island, 30 zur norwegischen Küste, 6 in die Barentssee, 2 nach Spitzbergen und zur Bäreninsel, 11 nach Ost- und Westgrönland, 13 nach Labrador und Neufundland sowie 44 in die Nordsee und die Irische See. 


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