Seeleute sind kein Sicherheitsrisiko
Seemannsmission warnt auf Kirchentag vor Nebenwirkungen von Antiterrorvorschriften
Aufsatz von Michael Hollmann - Veröffentlicht in "der ver.di report - SCHIFFAHRT" Nr. 2/2005 Seite 16
Abschrift: H. Busch, Berne -  mit freundlicher Genehmigung von D. Benze (04-jul-05)

Hannover hat zwar keinen Seehafen - dennoch bekamen die Besucher des 30. Kirchentages in der niedersächsischen Hauptstadt einen Eindruck davon, wie sich der Alltag an Bord durch die verschärften Sicherheitsbestimmungen des ISPS-Codes verändert hat. In einem Seecontainer stellte die deutsche Seemannsmission Bilder, Karten und Texte aus, die sich mit der Einengung und steigenden Arbeitsbelastung der Besatzungen im Zeitalter des Antiterrorkriegs auseinandersetzen. Für die Besucher war es ein hautnahmes Erlebnis: Bevor sie "an Bord" gehen konnten, wurde ihnen eine neue Seemanns-Identität zugewiesen. Je nach nationaler Herkunft und Rang - wie auf der ID-Karte vermerkt - hatten sie mal mehr, mal weniger Probleme, die Ausstellung zu verlassen und auf den Kirchentag zurückzukehren. Im die Situation noch realistischer abzubilden, wurden verschiedene Sicherheitslevel durchgespielt. Laut ISPS-Code müssen je nach Alarmstufe bestimmte zusätzliche Vorkehrungen an Bord und in den Häfen getroffen werden, um Eindringlinge und Angreifer fern zu halten. So durfte auch der FDP-Politiker Guido Westerwelle, der sich bei seinem Kirchentagsbesuch im Seecontainer blicken liess, nicht einfach "zurück an Land". Wegen seiner "philippinischen Herkunft" musste er sich vorher noch einigen speziellen Sicherheitsmaßnahmen unterziehen.
Zwar werden in den meisten europäischen Staaten offiziell Landgangsrechte gewährt, so der Diakon und Leiter der Deutschen Seemannsmission in London, Dirk Obermann. Doch führe der verwaltungstechnische Mehraufwand für Sicherheitskontrollen und die Ausstellung von Ausweisen dazu, dass es sich für die Seeleute kaum mehr lohnt, an Land zu gehen. Nach wenigen Stunden wird das Schiff ohnehin wieder auslaufen. "Die schwimmenden Stahlkolosse werden von vielen Seeleuten daher mehr und mehr als Gefängnis und weniger als Lebens- und Arbeitsraum erlebt", fällt Obermann auf. Die Welt der Menschen an Bord werde zunehmend "rationalisiert, technisiert und kontrolliert", kritisiert der Diakon, und die neuen Sicherheitsbestimmungen verunmenschlichen das Lebensumfeld noch um ein Weiteres.
Die Deutsche Seemannsmission akzeptiert, dass man Schiffe und Häfen effektiv vor Übergriffen schützen muss, mahnt aber gleichzeitig eine faire Behandlung der dort Beschäftigten an. "Die Sicherheit im Sinne der Terrorabwehr wird der Sicherheit der Menschen an Bord im Sinne der Schiffssicherheit vorangestellt", beklagt Obermann. "So werden Notausgänge verschlossen und die zusätzliche Arbeit, die durch die neuen Vorschriften anfällt, in der Regel ohne zusätzliches Personal geleistet." Die Schlaf- und Ruhezeiten der Seeleute würden dadurch zusätzlich eingeschränkt.
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Version: 08-Jul-05 / Rev.: 13-Jun-11 / HBu