Kollision vor Bremerhaven
Bericht © 1999: Hans Wölbing

Nachdem am Abend des 23. August 1962 im Europahafen von Bremen die etwa 20 m langen, für eine Pipeline in Nordafrika bestimmten Stahlröhren auf der OBERHAUSEN als Deckladung festgezurrt worden waren, hieß es "Leinen los". Im Unterraum des Schiffes hatten wir in Säcken abgefülltes Nitrophosphat - ein Düngemüttel - und im Zwischdeck Autos vom Typ VW-Käfer geladen. Nun schwamm die OBERHAUSEN, deren Funkofffizier ich damals war, die 70 Kilometer weserabwärts Richtung Nordsee mit Zielhafen Casablanca. An Deck wurde Seeklar gemacht und die Antennenanlage aufgebracht. Noch ein Blick auf das uns vertraute, in der aufkommenden Dämmerung versinkende Weser-Panorama, und die Bordroutine begann. Wir waren noch auf der Weser, als ich nach Beendigung meiner Wache um 23.00 Uhr wie üblich die Seenotalarmanlage einschaltete und mich anschließend in meine Kammer zurückzog, um mich auszuschlafen. Am nächsten Morgen zum Frühstück würden wir schon auf See sein.
Doch es kam ganz anders. Denn plötzlich wurde ich durch einen knirschenden und krachenden Lärm aufgeweckt. Danach vernahm ich, außer dem Rumpeln unserer mit äußerster Kraft laufenden Schiffsmaschine, nichts weiter. Trotzdem stand ich auf und öffnete meine Kammertür. Gegenüber auf dem Gang schaute der 1. Offizier, G.Pawlow, wie ich durch den Krach aufgeweckt, ebenfalls aus seiner Tür. Bessonders geistreiche Gesichter machten wir wohl beide nicht. Bevor wir aber Vermutungen darüber anstellen konnten, was eigentlich los war, erschien ein Matrose von der Wache mit der Alarmnachricht, daß wir gerammt worden waren. Also schnellstens anziehen und die zwei Decks ´rauf in die Funkstation.
Was war geschehen?
Noch auf der Weser seewärts von Bremerhaven, waren plötzlich böige Regenschauer mit starker Sichtbehinderung über die OBERHAUSEN hereingebrochen. Bei einer solchen Wetterlage mit einer schweren Decksladung aus der Wesermündung in die offene See zu laufen, hatten Kapitän und Lotse für nicht ganz ungefährlich gehalten und deshalb mit Absicht beigedreht, vor Bremerhaven erst einmal vor Anker zu gehen und eine Wetterbesserung abzuwarten. Als wir nun stromauf wieder die Nordschleuse von Bremerhaven passierten, verließ diese gerade der wesentlich größere Motorfrachter NECKARSTEIN mit Kurs Bremen.
Die in Ballast fahrende NECKARSTEIN mit ihrem hoch aus dem Wasser ragenden Bug rammte die tief abgeladene OBERHAUSEN kurz hinter dem sich mittschiffs befindlichen Brückenaufbau. Das Bündel der längsschiffs an Deck liegenden und gelaschten Stahlröhren wirkten wie eine Barrikade und verhinderten somit, daß uns die NECKARSTEIN in zwei Hälften zerschnitt. Es hätte dann nur Sekunden gedauert, uns von der Wasseroberfläche verschwinden zu lassen. So blieb es bei einem großen Loch in der Bordwand, durch das nun fröhlich das Wasser in den achteren Laderaum strömte.
Der Kapitän reagierte schnell. Mit Hartruder und Maschinen äußerste Kraft jagte er unser Schiff auf die Bremerhaven gegenüberliegenden Sandbänke vor Blexen. Nun lagen wir "auf Dreck" wie es in der Seemannssprache heißt und die Gefahr des Sinkens war gebannt. Eine unmittelbare Gefahr für Schiff und Besatzung bestand  nicht mehr.
Meine Aufgabe war wenig aufregend: Ich hatte nur die Funkanlage in Betrieb zu setzen und mit Norddeich Radio Verbindung aufzunehmen. Schließlich mußte die Reederei benachrichtigt werden. Doch der Sender ließ sich nicht abstimmen. Offensichtlich sind die Antennen in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich zog mir den Regenmantel an, um draußen nachzusehen. Ein loses Drahtgewühl rund um die Brücke bestätigte meine Vermutung. Die NECKARSTEIN hatte mit ihrem hoch und weit ausladendem Vorsteven meine von Mast zu Mast gespannten Antennen heruntergerissen. Nun turnten zwei Matrosen wie Akrobaten in der regendunklen Nacht auf den glitschigen Stahlröhren an Deck herum, um die Enden meiner Antenne zu suchen. Das fachgerechte Flicken der Antennen mit ihren diversen  Niederführungen machte ich dann aber selber. Danach konnte ich endlich die Funkverbindung über Norddeichradio mit der Reederei in Hamburg herstellen. Doch inzwischen war man bei der Reederei bereits von einem Bergungsunternehmen aus den Federn gejagt und informiert worden. Die bissigen Bemerkungen bezüglich unserer sehr späten Verbindungsaufnahme waren zwar nicht gerechtfertigt. Nun, die Unkenntnis funktechnischer Probleme, die bei einer Havarie auftreten können, sollte man auch einem Reederei-Chef verzeihen.
Wir jedenfalls lagen hoch und trocken, und mit dem Einsetzen der Ebbe war um uns herum kaum noch Wasser, der achtere Laderaum lief nun von alleine leer.  Die Bergungsfirma dichtete das nun frei zugänglich Loch in der Bordwand mit Holzplanken ab. Nach dem Auflaufen der Flut, schwamm unser Schiff von allein wieder auf und konnte in die Lloydwerft verbracht werden.
Aufregung gab es nur noch zu Hause in Bremerhaven, da meine Frau und Tochter in den Morgennachrichten von Radio Bremen hörten, daß die OBERHAUSEN kollidiert sei und "auf Grund" gesetzt wurde. Ein Anruf bei der Reederei beruhigte sie aber.
Nach 16 Tagen Werftzeit, für mich als einzigen Bremerhavener ein "Sonderurlaub", gingen wir mir neuer Ladung, die alte war ja unbrauchbar, erneut auf die Reise nach Casablanca. 
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