Die Küstenfunkstelle "Chatham Radio" / WCC
hat ihren Platz in der Geschichte gefunden
Übersetzung: Rolf Marschner, DL9CM

Die großen Backsteingebäude entlang der Orleans Road, sind schwer zu missen, passen sie doch sprichwörtlich zur gewöhnlichen Cape Cod-Architektur, "wie die Faust aufs Auge". Gleich daneben befindet sich ein Antennenfeld, das aus dem Forest Beach hervorsprießt, und dominiert wird von einem 300-Fuß-Mast. Obwohl seit Jahrzehnten zum Landschaftsbild der Stadt gehörend, wurden die Einrichtungen der Funkstelle in Chathamport und South Chatham, von wenigen Ausnahmen abgesehen, größtenteils von der Gemeinde ignoriert.
"Die Leute wußten, daß es eine Funkstation war, aber sie waren nicht weiter interessiert",
sagt Thomas R. "Tim" Pennypacker, ein ehemaliges Mitglied des Stadtrates erinnert sich, daß ihm als Junge in der Station ein Kopfhörer aufgesetzt wurde, damit er seinen Vater hören konnte, der von seinem Schiff, Grüße aus dem Indischen Ozean mit Morsezeichen übermittelte. Waren die Bewohner interessiert, so hatten sie ziemlich schnell herausgefunden, daß es sich zu der Zeit, um die größte und bekannteste Küstenfunkstelle der Welt handelte, ein Kommunikationszentrum, das an mehr teilnahm, als nur an der Geschichte von Charles Lindbergh’s Flug um die Welt, und des letzten Augenblicks der "Hindenburg" in den Medien. 
Da die Stadt kurz davor steht, sowohl den Sendestandort bei South Chatham wie auch den Bereich Chathamport, wo die Mitteilungen empfangen, dekodiert und an den Endkunden geschickt werden, zu kaufen, könnte dieses eine geschichtliche Bedeutung auch für die Zukunft dieser Liegenschaften haben.
Die Funkstation in Chatham stammte direkt ab von den Einrichtungen, die Guglielmo Marconi 1901 am äußersten Strand in South Wellfleet errichtet hatte und von denen die erste drahtlose Zweiwege-Transatlantik-Kommunikation zwischen Präsident Theodore Roosevelt und Englands König Edward VII am 18. Januar 1903 durchgeführt wurde, gerade in dem Augenblick, als offensichtlich wurde, daß eine Erosion die South Wellfleet Einrichtungen zerstören würde. 
(Was übrig blieb, ist heute Teil der Cape Cod National Seashore)
Die "Marconi Wireless and Telegraph Company of America" suchte einen besseren Standort um den steigenden Anforderungen des drahtlosen Dienstes nachzukommen, damals im heißen Konkurrenzkampf mit den Kabel-Gesellschaften. Ein Grundstück an der Ryders Bucht wurde gefunden, direkt dort, wo sich die Orleans und die Old Comers Road kreuzen. Der Standort, 30 Meilen vom Festland, umgeben von Wasser, bot Schutz und gab die Gewähr, daß keine Störungen die Aussendungen beeinträchtigen konnten. Die Errichtung der Station durch die J.G. White Construction Company begann 1914 und kostete 300.000 Dollar.
Die ursprüngliche Station bestand nicht nur aus den 15 Gebäuden, die heute noch stehen, sondern auch aus sechs massiven 350-Fuß-Stahlmasten die hintereinander in einer Linie bis Harwich reichten. Der größte dieser Masten, stand auf dem Gelände der Station und hatte eine Höhe von 447 Fuß über Seehöhe, er diente den Fischern und Seglern als Ansteuerungspunkt. 1954 wurde er abgebaut. Die anderen Masten waren bereits 1919 abmontiert und zu anderen Küstenfunkstellen in Tuckerton und New Brunswick, N.J. gebracht worden.
Während des Ersten Weltkriegs übernahm das Militär die Einrichtungen, aus Sicherheitsgründen. Nach dem Krieg waren Regierungsbeamte, unter ihnen der damalige Marinesekretär Franklin Roosevelt, beunruhigt über den Besitz einer solch großen ausländischen Kommunikationseinrichtung und zwangen Marconi seinen US-Besitz an die "Radio Corporation of America" zu verkaufen, einem Konsortium, das 1919 aus den Gesellschaften "General Electric", "Westinghouse Electric", "American Telephone and Telegraph", und der "United Fruit Companies" gebildet worden war.

Die Rolle von "Chatham Radio" - die das Rufzeichen nach den Wellfleet-Einrichtungen, "WCC" für "Wireless Cape Cod" auswählte – änderte sich in den frühen 20er Jahren. Ursprünglich gedacht für Punkt zu Punkt-Kommunikation mit Funkeinrichtungen in Deutschland, Norwegen und Schweden, übernahm sie 1921 den Schiff-Land-Funkverkehr. Der direkte Funkverkehr wurde auf neue RCA-Einrichtungen auf Long Island verlagert. 1921 wurde der erste kommerzielle Röhrensender mit einer bedeutenden Zunahme der Reichweite, auf der Chathamport Sendestelle in Dienst gestellt. Das bedeutete, daß WCC jetzt den ganzen Atlantischen Ozean, die Nordsee, den Indischen Ozean, das Mittelmeer, die Karibik und den Golf von Mexiko erreichen konnte. 
Aber die Leistung, die von den Sendern abgestrahlt wurde, brachte Probleme, die eigene Empfangsfunkstelle wurde gestört. Deshalb verlegte man die Sendeeinrichtungen nach Marion, und verband diese mit Chathamport mittels einer Überlandleitung. Gelegentlich gab es Probleme, wenn sich Eis auf den Drähten bildete, berichtet William Ryder, der auf der Sendestelle arbeitete, als sie 1947 nach South Chatham verlegt wurde. Mitarbeiter der Station wurden hinausgeschickt, um das Eis von den Drähten zu klopfen oder um gerissene Drähte zu reparieren.
"Am meisten fürchteten wir uns vor Schneeregen"
berichtet er. Das Problem wurde 1937 behoben, als eine neu entwickelte Fernbedienung, ein sogenanntes "microwave system" eingesetzt, und die Landleitungen nicht mehr benötigt wurden. Die Sendeantennen waren jedoch noch für viele Jahre davon betroffen.
Nach 1930 stieg der Funkverkehr dramatisch an. Während der Blütezeit waren mehr als 30 Mitarbeiter bei WCC beschäftigt, die meisten von ihnen waren Funker. Sie arbeiteten rund um die Uhr und vermittelten mehr als 1000 Telegramme am Tag; bis zu 10 Funker waren während der verkehrsreichen Zeit auf Wache, einige von ihnen empfingen und sendeten bis zu 100 Telegramme während einer 8-Stunden-Wache. 
Die gesamte Funkverkehr mußte im Morsecode abgewickelt werden, bis in den 50er Jahren Telex eingeführt wurde. Die Station vermittelte alle Arten von Telegrammen, erinnert sich Lewis Masson, ein ehemaliger Funker der Royal Air Force, er kam als "Drahtloser" 1957 nach "Chatham Radio". Er mußte die empfangenen Telegramme die über ein Laufband an einen bestimmten Platz befördert wurden, auf Lochstreifen stanzen und weiterbefördern zu ihrem Bestimmungsort, entweder über Western Union oder RCA – später arbeitete er an einem computer-terminal. Er kann heute noch die Rufzeichen den Schiffe zuordnen und spricht enthusiastisch über die Kollegialität zwischen den Mitarbeitern in der Empfangsstation.
Der größte Teil des Verkehrs wurde mit Fahrgast- und kommerziellen Schiffen durchgeführt und bestand aus Telegrammen mit Ankunfts- und Abfahrtszeiten sowie Ladungs- und anderen Angaben. Aber es wurden auch private Telegramme, Hotelreservierungen und Geschenktelegramme empfangen; ja, man konnte sogar über WCC in Geschäften einkaufen. Es gab verschiedene Arten von Telegrammen; die teuersten waren die, für die eine sofortige Weiterleitung entweder über Telefon oder Fernschreiber verlangt wurde, für sie mußte pro Wort eine Extragebühr gezahlt werden. Masson erinnert sich, als meine Tätigkeit bei WCC begann, gab es ungefähr zwölf Kunden, die diese schnelle Weiterleitung ihrer Telegramme wünschten,
"Wann immer man diese Telegramme sah, man mußte zum Telefon gehen und sie sofort weitergeben"
sagt er. Weniger dringend waren die Nachttelegramme und Seefunkbriefe, sie wurden nach dem Empfang als normale Post weitergeleitet. Chatham sendete auch aktuelle Wetter- und Zeitungsberichte (FX und PX) sowie einen kostenfreien medizinischen Dienst (Medico). Wann immer auf einem Schiff ein medizinischer Notfall eintrat, der Funker konnte Chatham Radio rufen, hier zog man den nächsten Arzt zu Rate. Auf diesem Wege sind viele Menschen gerettet worden berichtet Masson. 
Die Station beschäftigte Spitzenkräfte, die meisten kamen vom Militär, größtenteils schon seit Jahren Radioliebhaber. William Ryder baute Radios während er in Chatham aufwuchs und wurde von den Leuten der Station dazu ermutigt. Später arbeitete er als Funker in der Handelsmarine und kehrte dann zur Sendestelle zurück. Für mich war es vorherbestimmt berichtet er, 
"Ich war glücklich, nach Chatham zurückzukommen!"
Lee Baumlin, ein Einwohner von Harwich repariert immer noch Radios in seinem Keller, er arbeitete von 1962 bis zu seiner Pensionierung an der Station. Oft saß er auf der 600-m-Welle (500 kHz) und beobachtete die internationale Seenotfrequenz. Die Funker beobachten viele Frequenzen auf den Seefunk-Bändern und stimmten die empfindlichen Empfänger mit der Hand ab. Viele Operateure konnten mehr als 40 Wörter in der Minute senden und empfangen, aber sie mußten sich den Funkern am anderen Ende anpassen und deshalb oft ihre Geschwindigkeit vermindern. Lee selbst empfing mehr als 100 Telegramme während seines Dienstes und erinnert er sich. 
"Ich habe mal nachgerechnet: Wir haben mehr Telegramme übermittelt wie es Minuten am Tage gibt, 
- wie wir es gemacht haben, weiß ich bis heute nicht . . ."
Weil der Morsecode in der heutigen "high tech-Welt" immer antiquierter wirkte, ging es schnell, bis die Station 1997 ihren Betrieb einstellte. Die Funker bei Chatham waren die "Crème de la crème" sagt Baumlin; sogar Hersteller brachten ihre Ausrüstung zu ihnen, um die Geräte testen zu lassen. Viele der ehemaligen Funker haben heute noch ihre alten Morsetasten.
"Ein guter Morsecode klingt wie Musik in den Ohren,"
sagt Baumlin. Ein guter Funker konnte sich, während er gab, über eine andere Person unterhalten, sagt Funker William Pyne. 
"Du konntest die Nationalität der Person erkennen, die gerade sendete"
aber er fügt hinzu
"Es war eine Berufung, die man liebte. Nicht viele konnten acht Stunden sitzen und funken."

McElroy
"Chatham Radio" war in seiner Geschichte an vielen ungewöhnlichen Fällen beteiligt. Die berühmtesten waren: Richard E. Byrd’s 2. Expedition zum Südpol, Graf Zeppelin’s erster Flug um die Welt, 1929, Lindberg’s Flug, 1933 und der erste globale Flug von Howard Hughes 1938. Die Station übermittelte ebenfalls Wetterinformation an Amelia Earhart und ihren Navigator Wiley Post während ihres verhängnisvollen Fluges um die Welt.
Die Funkstation war ebenfalls die letzte die mit der "Hindenburg" kommunizierte, bevor sie im Jahre 1937 in Lakehorst, N.J. in Flammen aufging. Es gibt da jedoch widersprüchliche Geschichten über diese Episode. In einem 1980 geschriebenen Brief berichtet der ehemalige Leiter von "Chatham Radio", daß der Funker Francis Doane, der in diesem Moment auf Wache war, nicht direkt mit dem Luftschiff vor dem Unfall kommunizierte, aber gerade Informationen über Land, aufgrund einer Anfrage einer deutschen Funkstelle erhielt. Die deutsche Funkstelle, so wird berichtet, weigerte sich dieser Information von "Chatham Radio", kurz nach dem Unfall Glauben zu schenken.
Sicher aber ist, daß die "Hindenburg" einige Male über Chatham hinweg flog. Einige Monate vor dem Unfall flog sie in dichtem Nebel so tief über die Funkstelle, daß die Funker befürchteten, sie würde in die riesigen Antennenmasten stürzen. Fletcher David erinnert sich, "mein Vater rief mich am Nachmittag vor dem Unfall an, und bat mich hinauszugehen um mir die "Hindenburg" die gerade die Station überflog, anzusehen."
Francis Doane erinnert sich an einen anderen wichtigen Moment: der Entführung der "Santa Maria" durch portugiesische Rebellen 1961 im Südatlantik. Zuerst hielten die Rebellen Funkstille und verweigerten die Telegramme die an das Rufzeichen CSAL des Schiffes gerichtet waren. Als Doane am 23. Januar um Mitternacht auf Wache kam, empfing er die Antwort der "Santa Maria". "Es war eine ganze Menge" erinnert sich Masson, "die Kerle, die das Schiff in ihrer Hand hatten, waren nur bereit mit "Chatham Radio" zu arbeiten" In den darauffolgenden Wochen wurden mehr als 8000 Worte zwischen dem Schiff und WCC gewechselt. Es waren die ängstlichsten Wochen der Station.

Nachsatz:
Wer erinnert sich nicht an "Chatham Radio"/WCC. Es war die stärkste Funkstation auf der Welt. Ich habe viel Funkverkehr über WCC abgewickelt, denn ich war auf Schiffen der "Hansa" eingesetzt, die im Liniendienst zwischen dem Persischen Golf und Amerika fuhren. Später im damals neu eingerichteten "Hansa"-Containerdienst vom Mittelmeer zu den Häfen der Ostküste von Amerika, brachte ich den Funkern von WCC immer Wein aus Lissabon mit. Einige Jahre bevor das Sterben der Küstenfunkstellen begann, hatte ich die "grandiose" Idee, Aufnahmen von Funkstellen aus vielen Ländern zu machen. So besitze ich heute auch A1-Aufnahmen von WCC. Die Signale auf 13033.5 und 16972.0 MHz kamen zum Teil auf meinem e311 mit QSA "Knall" an. 

In den letzten Tagen vor dem "CL" hatte ich noch einen Briefkontakt mit der Station. Die "Old Men" bedankten sich für die vielen QSO’s und schenkten mir eine Informationsheft der Station. Noch heute habe ich die Zeichen von WCC im Kopf, und wenn sie verblassen, dann lege ich die Kassette auf und höre den WX vom 29. August 1996.
McElroy war einer der bekanntesten Funker bei "Chatham Radio". 1922 wurde er Weltmeister mit einer Geschwindigkeit von 56 Wörtern pro Minute. Von diesem Moment an war er unerreichbar. 1934 wurde er jedoch übertroffen, holte sich aber 1935 den Titel zurück. 1939 bei seiner letzten Teilnahme an einer Weltmeisterschaft gewann er den Titel mit 77 WpM. Der amerikanische Rekord hielt für mehr als 60 Jahre und wurde nur gelegentlich herausgefordert. Er war auch Weltmeister im amerikanischen- und im japanischen Kanje Code.
1969 durfte ich vom 500-kHz-Platz folgende Ankündigung senden:
cq cq cq de wcc wcc wcc tfc list qsw 436/hf =

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Version: 14-Feb-02 / RMa / Rev. 14-Aug-06 / 11-Jun-11 / HBu