Die Zulu Boys
Eine (Nicht ganz ernst zu nehmende??) Geschichte aus Australien
Artikel erschienen in Neuseelands Amateurfunkzeitschrift „Break-In“
Autor John Hill / ZL2AYQ  -  Übersetzt von Paul Hag, DL4BCG

Die Geschichtsbücher vermerken den Juni 1969 als den Monat, in dem der Mensch zum ersten Mal den Mond betrat. Aber ich erinnere mich an diesen Monat aus einem anderen Grund: Es war die Zeit, zu der ich vom Leben des „Cricket“ Chalmers erfuhr. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Reporter für eine Zeitung im nördlichen Territorium (Australien) und Cricket war dort eine lokale Größe der gelegentlich mit seinem alten rostigen Fahrrad durch die Stadt fuhr oder mit einem alten Rucksack auf dem Rücken und seinem wertvollen Darwin-Hund durch die Gegend streifte. Er lebte zusammen mit einigen alten Männern in den „Barracken“, welche eine Ansammlung von altersschwachen und baufälligen Hütten am Rande der Eisenbahnschienen waren. Er war immer gut für ein Schwätzchen über irgendetwas und war eine unerschöpfliche Quelle für alles aus der „guten alten Zeit“. Aber egal, Cricket war trotzdem immer auf dem Laufenden über die Tagesereignisse und war bekannt dafür Neuigkeiten zu wissen, bevor sie gedruckt wurden.
Ich wußte nicht viel über Crickets Leben bis zu diesem Abend, an dem die ganze Stadt im Ballsaal von Jackson’s Hotel versammelt war, um einen Film über die erste Mondlandung anzuschauen. Irgendwie interessierte mich der Film über die Landung nicht sehr, denn das ganze drumherum  mit aufstellen des Filmprojektors und dessen Inbetriebnahme nahm mich sehr in Anspruch. Cricket war nicht da aber einige seiner alten Kameraden aus den Barracken. Einige konnten sich erinnern, daß es irgendwann einmal acht Tage dauerte bis die Post aus Adelaide eintraf und nun sollte man die Landung auf dem Mond erleben. Am Ende der Vorstellung dankte mir einer dieser Kameraden (Bluey), mindestens 90 und mit wilder roter Mähne und Bart, und bemerkte, daß Cricket das wohl auch gerne gesehen hätte. „Oh“ sagte ich, „ist er nicht gekommen?“ „Nein sagte der alte Zausel, „er hat das Zeitliche gesegnet und ist letzte Nacht gestorben“. Nach Beendigung der Veranstaltung sah ich den Zausel noch an der Bar sitzen und aus einem Impuls heraus kaufte ich ein paar Drinks und setze mich zu ihm. Nach etlichen weiteren Drinks begann er dann zu sprechen. Bluey eröffnete die Unterhaltung damit, daß er mir erklärte, daß der Spitzname „Cricket“ nichts damit zu tun hatte, daß Cricket einmal im australischen Cricketteam mitgespielt hat und fuhr dann fort mir über das Leben seines Bruders zu erzählen.
Die beiden Brüder wurden auf der „Barkley Ponds Telegrafen Station“ geboren. Barkley Ponds war keine vollbesetzte Station wie etwa die „Alice Springs Station“, sondern nur eine kleine Ansammlung  von Gebäuden mit einer Besatzung (offiziell) von zwei alleinstehenden Männern, einem Telegrafisten und einem Fernmeldetechniker, der auch andere Aufgaben wahrnahm. Die Aufgabe der Station war, den nach Norden und Süden ablaufenden Verkehr zu beobachten und bei jeglicher Art von Störung unterstützend einzugreifen. Das hieß auch, im 50 km Umkreis Leitungsstörungen zu beheben. 
Da waren die Probleme ihrer Zeit:
Weiße Ameisen fraßen die Telegrafenstangen, das Vieh starb aus unerfindlichen Gründen und dann war da noch die andauernde Einsamkeit in einem ewig heißem Klima.
Donald Chalmers kam als 16jähriger Telegrafisten-Lehrling nach Norden. Nach fünf Jahren Dienstzeit bekam er frei für einen mehrwöchigen Urlaub in Adelaide, gerade lang genug um dort die stumme Margot, die kurz vorher aus Schottland eingetroffen war, zu treffen und zu heiraten.
Er gab ihr ein paar Baumwollhosen und eines seiner Hemden, um sie dann auf die Station zurückzuschmuggeln wo das glückliche Paar dann in die verfügbaren Räume einzog. Das alles war zu viel für den Störungssucher der sich total besoff und in seinem Brausebrand auf Nimmerwiedersehen in der Wüste verschwand. Donald und Margot waren total geschockt über den Verlust des einzigen menschlichen Kontakts aber zu ängstlich, um das Verschwinden zu melden. Donald versuchte, beide Jobs gleichzeitig zu erledigen, während Margot bald das Telegrafenalphabet lernte und dann auch ihre Schicht an der Taste übernahm. Schlußendlich bemerkte das Hauptquartier in Adelaide aber doch einige Unregelmäßigkeiten und sandte einen Inspektor, der drei Tage nach der Geburt des ersten Kindes dort eintraf. Dieser war geschockt über die vorgefundenen Umstände aber gleichzeitig auch angetan von Margots Fähigkeiten.
Cricket war der Erstgeborene und er wurde regelrecht in die Telegrafie hineingeboren. Tag und Nacht waren die Klopfzeichen des Wirtschaftsverkehrs, der verschlüsselten diplomatischen Nachrichten und der verschiedenen Meldungen zwischen Australien und der Welt zu hören. Mit seiner stummen Mutter und seinem für Wochen dienstlich abwesenden Vater war das klicken und klopfen der Apparate das Einzige was er hörte. Sprechen lernte er erst mit sechs Jahren aber er „unterhielt“ sich mit seiner Mutter schon viel früher in schnellen Klicks und Piepsen. Für manche muß er wie ein Insekt geklungen haben. Ein geschultes Ohr konnte aber schnell die vernünftige und schlüssige Nachricht in seiner „Sprache“ herausfinden, der einzige die er sprach: Die Stimme des Telegraphen.
Der zweite Sohn (Bluey) wurde zwei Jahre später geboren und auch er lernte die Familiensprache. Nach weiteren fünf Jahren wurde dann die ganze Familie abgelöst und in Richtung Adelaide verabschiedet.
Eines Tages traf dann ein Telegramm einer Anwaltskanzlei aus Adelaide ein, das nach der Verwendung des 15 Jahre vorher eingezahlten Ausbildungsfonds fragte. Die Eltern waren erstaunt über die aufgelaufene Höhe der eingezahlten Summe und unter Verwendung ihrer mageren Ersparnisse war es dann möglich, beide Söhne in einem guten Internat in Melbourne anzumelden.
In diesem Internat waren die beiden Jungs wie Fische ohne Wasser und sie wurden das Opfer gnadenloser Hänseleien. Sie entzogen sich diesen Hänseleien durch die Flucht in eine Welt in die keiner ihrer Schulkameraden folgen konnte: Diese merkwürdige Klick und Klack Kommunikation. Ihre bemerkenswerten Fähigkeiten blieben nicht unbemerkt und Sprachexperten der Universität besuchten sie, um dieses Phänomen zu studieren. Die Jungs führten es vor solange sie konnten. Die Experten machten Notizen, machten Aufnahmen und pressten sie in Wachsplatten und bemühten sich auch sonst nach bestem Wissen und Gewissen. Die ganze Angelegenheit wurde dann zur Farce als bekanntgegeben wurde, daß die Jungs Wiedergeburten der Kalahari Pygmäen Buschmänner seien, die sich in einem ähnlichen Dialekt unterhalten würden. Schlußendlich erstaunte ein Schuldiener die Studierenden damit, daß er ebenfalls in der Lage sei das zu verstehen, was die beiden Buben sich mitteilten. Auch ihm war nun der Respekt und die Aufmerksamkeit sicher. Er spielte eine Rolle bis zur Ermüdung, bevor er der staunenden Gemeinde beim Tee mitteilte, daß er früher als Telegrammbote gearbeitet hatte und nun diesen Beruf auch wieder ausüben wolle!
Das Ergebnis dieses ganzen „Zulu Boys“(--..)-Vorfalls wie ihn die Zeitungen nannten, war, daß die beiden Buben unter ihren Schulkameraden nun endlich die notwendige Anerkennung fanden und danach auch endlich vorankamen mit ihren Studien. Die Studenten hatten Cricket seinen Spitznamen verpasst, der ihm nun verblieb und noch mehr Sinn bekam als er in späteren Jahren gegen die „All India Eleven“ welche Australien bereisten, Cricket spielte. Ihr Spitzname für den rothaarigen Bruder war ebenfalls unvermeidlich und auch er verblieb ihm das ganze Leben.
Bluey heiratete dann und ging zurück ins Territorium, wo er in der Nähe der Telegrafenstation auf der er geboren wurde, ein Geschäft eröffnete. Dort lebte er solange, bis seine Frau 1966 starb.
Cricket ging zur Armee und fand sich an einem Ort den man heute Irak nennt wieder. Er geriet dabei in türkische Gefangenschaft und während seiner Haftzeit hörte er dann das Klicken eines Telegraphen aus dem Nebenraum. Natürlich war alles verschlüsselt aber Cricket war in der Lage, einige hundert Buchstaben zu behalten.
Das ihm von seinen Aborigine Freunden vermittelte Wissen über das Simulieren einer Herzattacke und Herzstillstand veranlasste seine Peiniger dann, ihn einfach auf die Straße zu werfen. Freundliche Araber halfen ihm weiter und so gelangte er zum britischen Nachrichtendienst wo er niederschrieb was er vom türkischen Telegraphen behalten hatte. Das war soviel, daß die Briten einige Details über Truppentransporte per Zug entschlüsseln konnten. Was danach folgte, fand Verwendung in der Historie „Lawrence von Arabien“, der eine erfolgreiche Attacke gegen einen solchen Zug führte und ihn dabei zerstörte.
Verwundungen verhinderten dann für einige Jahre Crickets Rückkehr in seine Heimat und in dieser Zeit wurde der Überlandtelegraph abgelöst durch Funk und Kabelverbindungen entlang der Küste, so daß Cricket einen Bürojob auf einer Eisenbahnstation annahm.
Er war dann zu alt für den Zweiten Weltkrieg aber es gelang ihm, als Zivilist auf einer Air Force Station beschäftigt werden. Hier begann er als Helfer im Wetterbüro und war dann Assistent des Chef-Meteorologen. Durch diese Tätigkeit lernte er, auf Basis der aus Darwin und Melbourne übermittelten Analyse von 400 bis 500 Fünfergruppen eine komplette Wetterkarte zu zeichnen. Der Luftwaffenstützpunkt hatte die modernsten Geräte, natürlich auch Fernschreiber, und beim Lesen der Fernschreiben und gleichzeitigem Hören des Klickens der magnetischen Relais lernte er ruck zuck den Fünfercode zu verstehen. Am Ende war Cricket in der Lage, diesen Fünfercode sofort umzusetzen und die Wetterkarte in allen Details gleich aufzuzeichnen, bevor der Meteorologe auch nur mit dem decodieren der Gruppen beginnen konnte, um die Karte zu zeichnen.
Cricket hat niemals etwas aufgeschrieben da die Klicks für ihn ein Wortbild waren, wie das Geschnatter der Telegraphen in den Kinderjahren.
Nach dem Krieg arbeitete er in den verschiedensten Berufen, die meiste Zeit aber bei der Eisenbahn. „Bluey und ich sprachen dann über verschiedene Veränderungen in der Stadt und auch darüber, daß eigentlich nichts übriggeblieben sei an Erinnerung über Cricket nach seinem Ableben. „Nur dies“ hörte ich dann und Bluey zog ein Notizheft aus seinem Rucksack, eins dieser Hefte mit ungefähr 200 Seiten. Dies ist alles was er zurückgehalten hat sagte er, „er hat es letzte Nacht noch vollgeschrieben“.
Ich öffnete das Heft und fand Zeichnungen der letzten Ereignisse, ziemlich schwer zu entziffern. Aber beim Weiterblättern wurden die Zeichnungen immer detaillierter und zeigten dann ziemlich perfekte Kopien von Fotografien über Ereignisse, die wir in den letzten Jahren in unserer Zeitung brachten: Die Krönung der Königin, Atombombentests, den Aufstand in Ungarn. „Sehr gut, sagte ich“, „Dein Bruder hatte ein Talent zum Zeichnen“, vollkommend verkennend, was ich da eigentlich in der Hand hielt. „Schlage die letzte Seite auf“ sagte Bluey. Ich tat es und sah Neil Armstrong und die Flagge auf dem Mond. Ich war sehr erstaunt, denn wir hatten das Photo an dem Tag als die Zeitungen uns per Flugzeug erreichten zum ersten Mal gesehen. Für mich war das ein ziemlicher Schock und ich konnte kaum glauben was ich sah. Dann erklärte Bluey mir, daß Cricket viele Jahre seine Abende damit verbracht hatte, an einem Kurzwellenempfänger zuerst dem Morse-Alphabet und später dann dem Funkfernschreiben und zum Schluß den Übertragungen der Funkbilder aus Manila und Sydney zuzuhören.
Am Ende konnte er dann einer zwölfminütigen Funkfaksimileübertragung zuhören und danach perfekt aufzeichnen was er „gehört“ hatte.
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Version: 21-Nov-00 / Rev.: 13-Jun-11 / HBu