Dieser Artikel ist im "Archiv für deutsche Postgeschichte" Heft 2/1993 erschienen. Abdruck auf der Homepage "Seefunk & Seeschiffahrt" mit freundl. Genehmigung der Witwe des Verfassers Hans-Joachim Ellissen und der Deutschen Gesellschaft für Post- und Telekommunikationsgeschichte e.V. Zentrale Geschäftsstelle, Schaumainkai 53, 60596 Frankfurt am Main |
Die Funktechnik
ist jetzt fast ein Jahrhundert alt. Heute gehören Rundfunk- und Fernsehgeräte
wie selbstverständlich zum allgemeinen Alltagsleben und Handfunksprechgeräte
oder Fernsteuerungen für Spielzeug zum Warenhausangebot. Weltweite
drahtlose Nachrichtenverbindungen für Fernsprechen, Fernsehen, Bildübertragung
und Fernschreiben über Satelliten sind ebenfalls selbstverständlich.
Damals jedoch, um die Jahrhundertwende, waren die mit Funk übertragenen
Morsezeichen oftmals nicht von atmosphärischen Störungen zu unterscheiden,
und drahtloses Fernsprechen mit den von Funkensendern erzeugten gedämpften
elektromagnetischen Wellen physikalisch unmöglich. Dennoch war der
Beginn der »Wellentelegrafie« mit den knallenden Funkenüberschlägen
der einfachen Sender und dem unzuverlässigen »Fritter«
im Empfänger zum Betrieb der tickenden Morseschreiber weltweit eine
Sensation. Um dies besser zu verstehen ist den Beschreibungen der Geräte
und Systeme der »Funkentechnik« ein Blick auf das damalige
allgemeine Umfeld vorangestellt.
Den Hintergrund der dann folgenden Abschnitte bildet der Einsatz der Funktechnik auf Schiffen und bei den deutschen Küstenfunkstellen, zumal dieser Artikel anlässlich des Aufbaus einer Schiffs-Löschfunkenstation in der Abteilung Seefunk des Postmuseums Hamburg und der dazu notwendigen Unterlagensichtung angeregt wurde. Sprachlich ist z. T die in der damaligen Literatur benutzte Ausdrucksweise verwendet worden, z. B. Küstenstation statt Küstenfunkstelle, Schiffsstation statt Seefunkstelle, England und Engländer für Großbritannien und Briten u. ä. (Die Bezeichnung »Küstenfunkstelle« mit dem Wort »Radio« hinter dem Ortsnamen wurde im Weltnachrichtenvertrag (WNV) 1927 festgelegt, der Begriff »Seefunkstelle« im WNV 1932.) Um eine möglichst geschlossene Darstellung in den einzelnen Abschnitten zu erreichen, sind zeitliche Überschneidungen z.T. nicht zu vermeiden. Das Umfeld
Die Wegbereiter
Branly
(1890) und Popow (1895)
Ein
technisches Nachrichtenmittel entsteht:
|
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Die von Marconi 1897 benutzte Schaltung seiner Funkgeräte zeigt die Abbildung. Der Funkeninduktor wurde aus einer 8zelligen Batterie (vermutlich Bleiakkumulator) betrieben und hatte 50 cm Schlagweite, bei späteren Marconisendern waren es 25 cm. Die Stromaufnahme lag bei 7 A, die aufgenommene Leistung demnach bei etwa 100 Watt, die Hochfrequenzleistung bei etwa 10 ... 20 Watt. Die aufwendige Righi-Funkenstrecke hatte Kugeln von 5 und 10 cm Durchmesser, die Abstände der kleinen Kugeln von den großen betrugen etwa 10 mm, die der großen, die in ein mit Vaselinöl gefülltes Pergamentrohr ragten, ca. 2 mm. Damit dürfte die Funkenspannung bei 60 ... 80 kV gelegen haben. Ohne Reichweiteneinbuße ersetzte Marconi später die mehrteilige Righi-Funkenstrecke durch zwei Messingkugeln mit etwa 1 cm Abstand. Desgleichen ließ er die Zinkzylinder von 1,8 m Höhe und 0,9 m Durchmesser fort, als er feststellte, dass er mit geringfügig höheren Antennen die gleichen Entfernungen überbrücken konnte. |
Beim Tasten
des Senders entstanden gedämpfte Wellen. D.h. bei jedem der etwas
20 – 30 Funkenüberschläge pro Sekunde löste sich von der
Antenne ein schnell in der Stärke abklingender Wellenzug von etwa
5 - 10 hochfrequenten Schwingungen, eine sog. stark gedämpfte Welle.
Deren Wellenlänge war zu Anfang unbekannt, da es Wellenmesser erst
ab 1903 gab. Von den physikalischen Vorgängen bestanden nur verschwommene
Vorstellungen. Allgemein wurde angenommen, dass die Funkenstrecke sehr
kleine Wellen erzeuge, die von der Antenne im vergrößerten Maßstab
fortgeschleudert würden. Erst um und ab 1900 begann man, die Vorgänge
richtig zu deuten und stellte fest, dass bei vertikalen Antennen mit direkt
darin eingeschalteter Funkenstrecke die Wellenlänge der Schwingungen
rund das Vierfache der Antennenhöhe beträgt. Bei den 30 m hohen
Antennen Marconis am Bristolkanal lag die Wellenlänge daher bei 120
m, entsprechend 2,5 MHz, also im Grenzwellenbereich. Die Pause zwischen
den einzelnen Wellenzügen war einige tausendmal länger als diese
selbst, eine äußerst schlechte Energiebilanz. Das Abklingen
- die Dämpfung - der hochfrequenten Schwingungszüge entstand
vor allem aus der erwünschten Abstrahlung der Sendeantenne (Abwandern
von Energie in Form einer elektromagnetischen Welle mit Lichtgeschwindigkeit
in den Raum) sowie aus den Verlusten in der Funkenstrecke durch Wärme
und Licht. Wegen des sehr schnellen Abklingens der Wellenzüge bei
direkt in die Antenne geschalteter Funkenstrecke bezeichnete man später
diese Wellenform als stark gedämpfte Wellen.
Zwischen dem ebenfalls 30 m langen Antennendraht und der Erde des Empfängers (am Ufer vergrabene Metallplatte) war der Fritter geschaltet. Diesen hatte Marconi besonders gut aufgebaut. Er bestand aus einem annähernd luftleer gepumpten Glasröhrchen von 60 mm Länge und 4 mm Durchmesser, in dem sich zwei mit Silberamalgam bedeckte Silberelektroden mit 0,5 mm Abstand gegenüberstanden. Der Spalt war mit einem Feilspänegemisch aus 96 % Hartnickel und 4 % Silber gefüllt. Im Stromkreis aus polarisiertem Relais, Fritter und 1,5-V-Trockenbatterie verhinderten HF-Drosselspulen - damals als »Induktanzrollen« bezeichnet - das Abfließen von HF-Energie über Relais und Batterie. Beim Empfang von HF-Impulsen wurde der Fritter leitend, das Relais sprach an und schloss mit seinem Kontakt die Stromkreise für Klopfer und Morseschreiber. Der Klopfer arbeitete wie eine elektrische Klingel mit Selbstunterbrecher, wie bei Popow, jedoch ohne Glocke. Beim Rückfedern des Hornklöppels schlug dieser gegen das Glasröhrchen und »Entfrittete« die Feilichtfüllung. Mit parallel zum Klopfer geschalteten Widerständen wurden die normalerweise am Klopferkontakt entstehenden Funken unterdrückt, da diese den Fritter leitend machen und dieser ununterbrochen ansprechen würde. Weiter waren Funkenschutzwiderstände parallel zu Relais und Morseschreiber geschaltet. Bei seinen weiteren Versuchen zwischen Küsten- und Schiffsstationen wurde Marconi in England aus nationalen Interessen des Inselstaates von den Behörden erheblich unterstützt. Bereits im Herbst 1897 wurde die dann über zwölf Jahre marktbeherrschende Marconi Wireless Telegraph and Signal Company (Marconi Co.) mit englischem Kapital für Bau und Vertrieb der Funkanlagen gegründet. Die dann 1900 gegründete Marconi Marine Communication Co. vermietete ihre Bordstationen der Schiffahrt samt Funkern und mit der Auflage, nur mit Marconistationen zu verkehren. Bei Kriegsschiffs- und Marinestationen der einzelnen Staaten konnten Marconistationen jedoch nur verkauft werden. Die ersten Küsten- und Schiffsstationen in England waren für Marconi vor allem Versuchsstationen, die englische Presse brachte häufig Berichte und Erfolgsmeldungen über Marconis Funkentelegrafie. Genaue Angaben über die Technik der Geräte fehlten jedoch, da Marconi seine Geräte ausschließlich in geschlossenen Kästen vorführte und sich sehr zurückhaltend äußerte. Dies vermutlich nicht nur wegen des Patentschutzes, sondern auch wegen der noch fehlenden wissenschaftlichen Deutung, denn die Schaltungs- und Bauteilverbesserungen Marconis und seiner guten Mitarbeiter entstanden durch Probieren. Marconi erzielte 1897/98 mit den direkt zwischen Antenne und Erde geschalteten Funkenstrecken Reichweiten Land-Schiff von 25 bis 40 km bei Antennenhöhen bis zu 40 m. Alle Versuche, mit höheren Funkenspannungen und vieldrähtigen Antennen größere Entfernungen zu erreichen, scheiterten. Erst als Marconi den Fritter mit einem HF-Transformator (C etwa 1:10) an die Antenne ankoppelte und der Fritter dadurch eine höhere HF-Spannung bekam, überbrückte er größere Entfernungen: Zwischen Landstationen über den Ärmelkanal hinweg 136 km und bei den englischen Flottenmanövern im Herbst 1899 zwischen Schiffen 106 km. Ohne den Jigger genannten Transformator waren es nur 11 km. Die Reichweitenerfolge mit der neuen Empfängerschaltung veranlasste die britische Admiralität im Juli 1900 28 Kriegsschiff- und 4 Landstationen bei der Marconi Co zu bestellen. Weiter folgten Aufträge für 22 feste Funkstellen und 30 Stationen für Handelsschiffe. In Deutschland war die Reederei Norddeutscher Lloyd Bremen (NDL) an der möglichst genauen Berechnung der Ankunftszeiten ihrer großen Nordatlantik- Passagierdampfer in Bremerhaven interessiert. Eine Eingabe im November 1899 bei der Königlichen Regierung in Aurich bewirkte den Aufbau der ersten Funkentelegrafenanlagen für den öffentlichen, allgemeinen Verkehr auf Mietbasis durch die Marconi Co, auf dem Leuchtturm der Insel Borkum und dem 35 km entfernten Feuerschiff Borkum Riff. Der Leuchtturm hatte als »See-Telegrafenanstalt« eine Morseschreiber-Kabelverbindung nach Emden. Die Kosten der beiden Funkanlagen einschließlich der Antennen übernahm der NDL, die Ausbildung der Leuchtturmwärter und der Feuerschiffsbesatzung im Morsebetrieb sowie Unterhaltung und Instandsetzung der Marconi-Funkanlagen die Reichs-Telegrafen-Verwaltung (RTV), desgl. die funkbetriebliche Aufsicht. *1) Der Betrieb wurde am 15. Mai 1900 aufgenommen. Die Reichweite des am Hauptschifffahrtsweg verankerten Feuerschiffs betrug im Durchschnitt etwa 50 km, vereinzelt 75 km. Der Verkehr mit Schiffen spielte sich je nach deren Ausrüstung über Funk oder in Sichtnähe mit Flaggensignalen ab, letzteres zu Anfang in der Hauptsache, denn im Mai 1900 hatte nur ein einziges Handelsschiff Funk, der Passagierdampfer Kaiser Wilhelm der Große des NDL. Die 1900 gegründete International Marconi Marine Communication Co. rüstete dann 1901/02 2 NDL- und 5 Schiffe der Hamburg-Amerika- Linie (HAPAG) mit langfristig vermieteten und von Marconifunkern betriebenen Anlagen aus. Der Funkbetrieb der beiden Borkumer Stationen mit den direkt in die Antennen geschalteten Funkenstrecken und den praktisch auf alle Frequenzen im GW- und MW-Bereich ansprechenden Jigger-Fritterempfängern wurde im Sommer durch Gewitter, im Herbst und Winter durch Antennen-Sturmschäden unterbrochen. Als Stromversorgung der noch unabgestimmten Sender dienten 8 Akkumulatoren (je 4 parallel), die ständig von 7 Reihen zu je 14 parallelgeschalteten Trockenelementen geladen wurden. Dieses Verfahren war weltweit üblich. Bei den größeren Funkstellen ohne Netzanschluss lieferten dampf- oder benzingetriebene Generatoren den Strom. An Bord von Schiffen war das Bordnetz Ladestromlieferant für die Akkumulatoren der Funkeninduktoren mit Hammer- oder Turbinenunterbrechern. Marconi verbesserte dann auch den Sender, indem er wie Braun - ohne dessen Patent von 1898 zu beachten - die Funkenstrecke in einen Primärkreis mit Spulen sowie Kondensatoren großer Kapazität verlegte. Die neuen Empfänger- und Senderschaltungen ließ er in England mit dem Patent Nr. 7777 vom 26. April 1900 schützen. Die danach gebauten Funkanlagen erreichten im Januar 1901 mit 48 m hohen mehrdrähtigen Antennen und nur 150 Watt Eingangsleistung 300 km zwischen Landstationen. Mit großen technischen Schwierigkeiten überbrückte Marconi im Dezember 1901 sogar mit dem abends von der englischen Großstation Poldhu ständig wiederholten Morsebuchstaben »s« im Hörfunk den Atlantik (3 400 km, behelfsmäßige Empfangsstation mit 130 m Drachenantenne in St. Johns, Neufundland). Ein Jahr später gelang der Telegrammaustausch zwischen Poldhu und der von der Marconi Company neu errichteten Station Glace Bay in Neuschottland, Kanada über 3 800 km und im Januar 1903 mit der Station Cape Cod (USA) über 4 800 km. Die Maße und Energien von Marconis Transatlantikstationen waren für damalige Verhältnisse gewaltig: Wechselstromgeneratoren von 50 kW Leistung, hausgroße Kondensatoranordnungen mit 1 bzw. 1,5 Mikrofarad Kapazität bei Funkenspannungen von 20 kV, evtl. sogar 60 bis 100 kV. Die vieldrähtigen Trichterantennen hingen zwischen den Dachseilen von 4 im Quadrat mit 70 m Seitenlängen errichteten 71-m-Holztürmen. Mit der Überbrückung des Atlantiks war auch die Meinung von vielen Fachgelehrten widerlegt, dass sich Funkwellen nur gradlinig ausbreiten und sie nicht der Erdkrümmung folgen würden. Marconis Überseeanlagen arbeiteten mit Langwellen, die - glücklicherweise - besonders gut der Erdkrümmung folgen. * 1) Einzelheiten bei Gregor Ulsamer: „Feuerschiff Borkum Riff – Geschichte des Nachrichtenwesens an der Küste“ Berlin/Offenbach 1991 Zum Teil 2: Slaby - Braun - AEG - Siemens - Telefunken - Hörempfang Zum Teil 3: Der Aufschwung mit den tönenden Funken Zum Teil 4: Die drahtlose Telegrafie mit gedämpften Wellen bekommt Konkurrenz |