Drahtlose Telegrafie mit gedämpften Wellen (I)
von Hans-Joachim Ellissen

Dieser Artikel ist im "Archiv für deutsche Postgeschichte" Heft  2/1993 erschienen.
Abdruck auf der Homepage "Seefunk & Seeschiffahrt" mit freundl. Genehmigung der
Witwe des Verfassers Hans-Joachim Ellissen
und der
Deutschen Gesellschaft für Post- und Telekommunikationsgeschichte e.V.
Zentrale Geschäftsstelle, Schaumainkai 53, 60596 Frankfurt am Main
Teil 1
Faraday - Maxwell - Oerstedt - Hertz - Branly - Popow - Marconi
Die Funktechnik ist jetzt fast ein Jahrhundert alt. Heute gehören Rundfunk- und Fernsehgeräte wie selbstverständlich zum allgemeinen Alltagsleben und Handfunksprechgeräte oder Fernsteuerungen für Spielzeug zum Warenhausangebot. Weltweite drahtlose Nachrichtenverbindungen für Fernsprechen, Fernsehen, Bildübertragung und Fernschreiben über Satelliten sind ebenfalls selbstverständlich. Damals jedoch, um die Jahrhundertwende, waren die mit Funk übertragenen Morsezeichen oftmals nicht von atmosphärischen Störungen zu unterscheiden, und drahtloses Fernsprechen mit den von Funkensendern erzeugten gedämpften elektromagnetischen Wellen physikalisch unmöglich. Dennoch war der Beginn der »Wellentelegrafie« mit den knallenden Funkenüberschlägen der einfachen Sender und dem unzuverlässigen »Fritter« im Empfänger zum Betrieb der tickenden Morseschreiber weltweit eine Sensation. Um dies besser zu verstehen ist den Beschreibungen der Geräte und Systeme der »Funkentechnik« ein Blick auf das damalige allgemeine Umfeld vorangestellt.
Den Hintergrund der dann folgenden Abschnitte bildet der Einsatz der Funktechnik auf Schiffen und bei den deutschen Küstenfunkstellen, zumal dieser Artikel anlässlich des Aufbaus einer Schiffs-Löschfunkenstation in der Abteilung Seefunk des Postmuseums Hamburg und der dazu notwendigen Unterlagensichtung angeregt wurde.
Sprachlich ist z. T die in der damaligen Literatur benutzte Ausdrucksweise verwendet worden, z. B. Küstenstation statt Küstenfunkstelle, Schiffsstation statt Seefunkstelle, England und Engländer für Großbritannien und Briten u. ä. (Die Bezeichnung »Küstenfunkstelle« mit dem Wort »Radio« hinter dem Ortsnamen wurde im Weltnachrichtenvertrag (WNV) 1927 festgelegt, der Begriff »Seefunkstelle« im WNV 1932.)
Um eine möglichst geschlossene Darstellung in den einzelnen Abschnitten zu erreichen, sind zeitliche Überschneidungen z.T. nicht zu vermeiden.

Das Umfeld
1897 war das Geburtsjahr der drahtlosen Telegrafie mit elektromagnetischen Wellen.
Nach Patentanmeldung und postinternen Vorführungen in England stellte der Italiener Marconi seine mit elektrischen Funken über 14 Kilometer arbeitende Anlage im Mai am Bristolkanal der Öffentlichkeit vor. In einer Zeit also, in der die elektrische Stromversorgung gerade anfing, sich in den Industriestaaten Europas und der USA mehr und mehr auszubreiten. Wegen der hohen und nur langsam sinkenden Kosten für Hausanschlüsse, die elektrischen Glühbirnen und den verbrauchten Strom, konnten sich im örtlich begrenzten Umkreis der Elektrizitätswerke jedoch nur begüterte Familien elektrisches Licht leisten. Außerdem stand dieses in den Städten mit Gaswerken in Konkurrenz zu der 1895 von Auer von Welsbach erfundenen und billigeren Gas-Glühstrumpfbeleuchtung für Straßen und Gebäude. Immerhin war in Deutschland die Zahl der E-Werke zwischen 1885 und 1900 von einem (bei etwa 1200 Gaswerken) auf 1400 gestiegen. Diese lieferten Strom außer für Licht und Fabrikmotore auch für bereits 156 elektrische Bahnen, vorwiegend Straßenbahnen. Doch als Lichtquelle für die Masse der Bevölkerung - nicht nur der Landgebiete diente die Petroleumlampe. Briefträger oder Mechaniker verdienten um 1900 bei 60 Stunden Wochenarbeitszeit etwa 150 Mark im Monat, eine 3-Zimmerwohnung mit Küche kostete 250 Mark Jahresmiete, 1 kg Roggenbrot 30 Pf, 1 kg Schweinefleisch 1,60 Mark, 1 kg Butter 2,50 Mark.
Hauptenergieträger ist die Kohle. Sie heizt die Dampfkessel der E-Werke, sie wird in den Gaswerken zu Gas und Keks verarbeitet, sie brennt in den Hochöfen für die Stahlerzeugung und in den Öfen der Wohnungen, Büros und Werkstätten. Die Hausfrau steht täglich am kohlegeheizten Küchenherd - sofern sie nicht begütert am Gasherd kochen lässt, und ihr Waschtrog dient in den meisten Familien noch als Badewanne.
Elektrische Wärme ist Luxus. Die erste vollelektrische Küche wurde 1893 auf der Weltausstellung in Chicago vorgestellt. Der Staubsauger beginnt erstmals 1901 in England als benzingetriebener Großstaubsauger sein nützliches Werk auf der Straße, mit langen Schläuchen in die Wohnungen und Büros. Elektrische Einzelstaubsauger lassen jedoch noch zehn Jahre auf sich warten. In der Zeit der praktischen Versuche mit der Funkentelegrafie am Ende des vorigen Jahrhunderts gibt es auch das Kino an der Ecke oder im Dorfkrug noch nicht, denn brauchbare Filmaufnahme- und Wiedergabegeräte entstehen erst später.
Das Tages- und Zeitgeschehen erfährt man ausschließlich aus Zeitungen, Wochenblättern und Monatsschriften. Hauptnachrichtenträger ist der Brief. Das bedeutet z.T. erhebliche Verzögerungen, obgleich Nachrichten bereits weltweit über Landfreileitungen und Seekabel telegrafiert werden können. Fernsprechen mit Telefon vermittelt das »Fräulein vom Amt«, allerdings wegen der noch mehr als zehn Jahre fehlenden Fernsprechverstärker nur auf einige hundert Kilometer. Wo weder Eisenbahnen noch Schiffe Briefe befördern können, übernehmen Pferdewagen, Reiter und Postboten zu Fuß den Transport, denn die wenigen Benzin- und Dieselautomobile sind noch im Stadium motorisierter Kutschen, und erfolgreiche Versuche mit Motorflugzeugen gibt es erst ab 1905.
Wie gesagt, nur die Zeitungen und Zeitschriften jener Zeit berichten von den Geschehnissen aus Nah und Fern, verbreiten die Meldungen der »Telegrafenbüros«, z. B. über die Kriegsgeschehen in Afrika und China, die politischen Spannungen auf dem Balkan. Natürlich kommen auch die Landespolitik, die kulturellen Ereignisse, die Kriminalfälle nicht zu kurz. Das sind beliebte Themen zum Vorlesen in der Familie oder im Wirtshaus, genau so, wie die Artikel von den Geschehnissen »bei Hofe« - oder von erstaunlichen Erfindungen. Wie z. B. die, dass es einem Italiener in England gelungen sei, mehrere Kilometer mit Hertzschen Wellen drahtlos zu überbrücken.

Die Wegbereiter
Von Oerstedt (1820) bis Hertz (1887)
Der dänische Physiker Hans Christian Oerstedt (1777-1851) entdeckte 1820, dass stromdurchflossene Drähte in ihrer Umgebung magnetische Wirkungen zeigten. Etwas später vermutete der äußerst vielseitige englische Forscher Michael Faraday (1791-1867), dass auch umgekehrt Magnetfelder elektrischen Strom erzeugen können. Nach mehrjähriger Laborarbeit und unzähligen Versuchen bewies er 1831 seine Annahme: Ändert ein Magnetfeld seine Stärke oder Richtung, so induziert es in benachbarten Drähten oder Spulen eine Spannung. Nach Faradays Ansicht wirkten die elektrischen und magnetischen Felder nicht unmittelbar durch den Raum, sondern pflanzten sich Punkt für Punkt darin fort. Faradays Frage, ob die Ausbreitung magnetischer und elektrischer Felder mit Lichtgeschwindigkeit geschieht, wurde von seinem Landsmann Professor James Clerk Maxwell (1831-1879) aufgenommen. In einer mathematisch untermauerten Abhandlung stellte er die Theorie auf, dass ein entstehendes oder vergehendes Magnetfeld unmittelbar ein elektrisches Feld entstehen oder vergehen lässt, dieses wiederum ein magnetisches und so fort. Die voneinander abhängigen Felder würden sich mit Lichtgeschwindigkeit als elektromagnetische Welle nach allen Seiten im Raum ausbreiten. Auch das Licht sei eine elektromagnetische Welle. Den ausbrechenden heftigen Streit der Physiker für und gegen Maxwells Theorie beendete 1887 der Physikprofessor Heinrich Hertz (1857-1894) mit seinem praktischen Nachweis von elektromagnetischen Wellen.
In Laborversuchen mit wenigen Metern Reichweite konnte Hertz nachweisen, dass sich die bei Funkenentladungen entstehenden elektromagnetischen Wellen wie Lichtstrahlen verhalten: Sie lassen sich reflektieren und bündeln, sie können gebrochen werden, und sie sind polarisiert, d.h., das elektrische Feld schwingt in einer bestimmten Ebene, z.B. geradlinig wie die Längenausdehnung des erregenden Strahlers (Antenne). Aus den Versuchsergebnissen konnte Hertz die Ausbreitungsgeschwindigkeit mit »annähernd Lichtgeschwindigkeit« berechnen. Für eine Nachrichtenübertragung - die Hertz auch nicht anstrebte reichte seine Geräteanordnung jedoch nicht aus. Er benutzte zum Senden u.a. eine von einem Funkeninduktor mit 4,5 cm Schlagweite (zwischen Spitzen) erregte Funkenstrecke von 3 mm Länge in der Mitte eines 3 cm dicken und 26 cm langen Messingstabes. Aus den Abmessungen dieses Dipols ergab sich die Wellenlänge der erzeugten elektromagnetischen Schwingungen zu etwa 60 cm, entsprechend 500 MHz (Dezimeterwelle, heutiger Fernsehbereich IV). Als Empfänger diente eine einstellbare Mikrofunkenstrecke im Bereich von hundertstel Millimeter innerhalb einer kreisförmig gebogenen Drahtantenne von 7,5 cm Durchmesser. Die beim Empfang der vom Sendedipol abgestrahlten hochfrequenten Schwingungen entstehenden winzigen Fünkchen beobachtete Hertz mit einem Mikroskop. Bei Anordnung des Sendedipols in der Brennlinie eines bündelnden Parabolspiegels aus Zink betrug die Reichweite 16 ... 20 m.

Branly (1890) und Popow (1895)
Hertz veröffentlichte 1888 in Fachannalen seine sensationellen Ergebnisse, die großes
Aufsehen erregten. Viele Wissenschaftler setzten weltweit die Hertzschen Versuche fort, z.T. mit dem Ziel, empfindlichere Wellenempfänger zu finden (u.a. der Londoner Physiker 0. Lodge 1890 mit einem Vorläufer des Fritters) oder mit Funkensystemen noch kürzere Wellen zu erzeugen in Richtung der Lichtwellenlängen (z. B. Prof. Righi in Bologna ab 1890). 1890 verbesserte der französische Forscher Edouard Branly (1844-1940) den Hertzschen Empfänger wesentlich, indem er die Mikrofunkenstrecke durch eine Glasröhre ersetzte, in der sich zwischen zwei Elektroden Metallfeilpulver, sogenanntes Feilicht befand. Dieser Radioconducteur wurde in einen Stromkreis mit Batterie und Galvanometer (Stromanzeiger im Milliamperebereich) geschaltet. Das lose aufgeschüttete Feilicht hatte im Ruhezustand einen sehr hohen Widerstand. Beim Durchgang von Hochfrequenzimpulsen sank der Widerstand je nach Material, Größe und Menge der Feilspäne auf Werte unter hundert Ohm, so dass die Nadel des Galvanometers stark ausschlug. Dieser leitende Zustand blieb auch nach Aufhören des HF-Durchgangs solange bestehen, bis sich durch Erschüttern des Feilichts (Klopfen) der hochohmige Zustand wieder einstellte. Das Absinken des Widerstandes beim Einwirken von Hochfrequenz wurde durch das leichte Zusammenschmelzen (Fritten) im Mikrobereich der Berührungsstellen der Spänchenzacken erklärt. Man bezeichnet daher derartige Wellenanzeiger nach Lodge als Kohärer (engl. coherer,- nach lat. cohaerere zusammenhängen) oder nach Slaby als Fritter.
Die meisten Forscher, die die Versuche von Hertz fortführten, begnügten sich - wie auch Branly - mit den rein wissenschaftlichen Erkenntnissen. Nur wenige dachten dabei an die Möglichkeit, mit elektromagnetischen Wellen Signale drahtlos über größere Entfernungen zu übertragen, wie z. B. der russische Physiker Alexander S. Popow (1859-1905). Dieser baute bei seiner Tätigkeit als Lehrer für Physik an der Torpedoschule in Kronstadt (auf der Insel Kotlin bei St. Petersburg) 1894 eine Fritterempfänger, den er an einen Gebäudeblitzableiter bzw. an einen mit Ballon hochgezogenen Draht als Antenne anschloss. Hiermit konnte Popow Blitzentladungen bis zu Entfernungen von 30 km nachweisen. Sein Fritter hatte 8 mm breite Platinelektroden in 2 mm Abstand, die mit Eisenpulver bedeckt waren. Die von Blitzen ausgehenden elektromagnetischen Wellen induzierten in der Empfangsantenne hochfrequente Spannungsimpulse, die den Fritter niederohmig machten. Ein in den Fritterstromkreis (4-5 V aus Trockenelementen) geschaltetes empfindliches Relais sprach an, dessen Kontakt eine elektrische Klingel einschaltete (Gewitteranzeiger). Bemerkenswert ist, dass Popow den Klingelklöppel gleichzeitig auch zum Klopfen des Fritters benutzte, um diesen nach Ansprechen wieder hochohmig und damit empfangsbereit zu machen.
Popow führte seinen Gewitteranzeiger im Frühjahr 1895 der Russischen Gesellschaft für Physik und Chemie vor und veröffentlichte in deren Journal im Januar 1896 Einzelheiten seiner Schaltung. Der Artikel endet: »Abschließend kann ich die Hoffnung äußern, dass nach bestimmten Verbesserungen mein Gerät mit Hilfe schneller elektrischer Schwingungen für die Übermittlung von Signalen über beträchtliche Entfernungen gebraucht werden kann, sobald ein Generator mit genügender Energie für solche Schwingungen gefunden wurde.«

Ein technisches Nachrichtenmittel entsteht: 
Marconi beginnt 1897 in England
Zeitlich parallel zu Popows Versuchen beschäftigte sich der junge Italiener Guglielmo Marconi (1874-1937) damit, elektromagnetische Wellen als Nachrichtenträger einzusetzen. Er hatte zwar nur einige Vorlesungen des Physikprofessors Righi besucht, bewies jedoch Erfindungsgabe und großes praktisches Geschick in der Zusammenstellung und Verbesserung bekannter Apparate für die Erzeugung und zum Nachweis Hertzscher Wellen. Auf dem väterlichen Gut in der Nähe von Bologna benutzte er nach einigen Vorversuchen mit parabolischen Blechreflektoren 1895 schließlich zum Senden die dreiteilige Funkenstrecke von Righi mit einem Ruhmkorff-Funkeninduktor, zum Empfang Branlys Fritter sowie für Sender und Empfänger senkrechte Drahtantennen, wie sie Popow 1895 nur empfängerseitig eingesetzt hatte. Außerdem waren Sender und Empfänger an in der Erde vergrabenen Metallplatten angeschlossen. Spezielle Abstimmkreise aus Spulen und Kondensatoren fehlten. Marconi überbrückte etwa 2,5 km über Hügel hinweg.
Marconi bot sein System der italienischen Regierung an. Als diese darauf nicht einging, fuhr er auf Anraten seiner in Irland geborenen Mutter 1896 zu Verwandten nach London. Dort meldete der 22jährige seine Anlage am 2. Juni zum Patent an, das nach Ergänzungen vom März am 2. Juli 1897 erteilt wurde. Mit Unterstützung des Chefingenieurs W.H. Preece vom British Post Office führte Marconi im Juli und September 1896 seine Geräte Beauftragten der Post sowie der Marine und der Armee über Landentfernungen bis zu 2,8 km vor. Im Mai 1897 gelang es dann Marconi, bei Cardiff am Bristolkanal erst 5 km bis zur Insel Flatholm drahtlos mit Morsezeichen zu überbrücken, dann sogar mit von Drachen hochgezogenen Antennendrähten 14 km über den Kanal hinweg.
Preece hielt in London und Liverpool Vorträge über Marconis Apparatur, und die englische Presse brachte anerkennende Artikel. Für die Fachwelt beschrieb Preece in the Electrician die Grundzüge von Marconis Funkentelegrafie. Eine Reihe von Fachgelehrten horchte auf, die mit eigenen Versuchen begannen, und die plötzlich sehr interessierte italienische Regierung lud Marconi ein, in Italien weiterzuarbeiten. Dieser machte jedoch dort nur im Juli 1897 am Golf von Spezia Versuche mit Kriegsschiffen und überbrückte schließlich 18 km.

Die von Marconi 1897 benutzte Schaltung seiner Funkgeräte zeigt die Abbildung. Der Funkeninduktor wurde aus einer 8zelligen Batterie (vermutlich Bleiakkumulator) betrieben und hatte 50 cm Schlagweite, bei späteren Marconisendern waren es 25 cm. Die Stromaufnahme lag bei 7 A, die aufgenommene Leistung demnach bei etwa 100 Watt, die Hochfrequenzleistung bei etwa 10 ... 20 Watt. Die aufwendige Righi-Funkenstrecke hatte Kugeln von 5 und 10 cm Durchmesser, die Abstände der kleinen Kugeln von den großen betrugen etwa 10 mm, die der großen, die in ein mit Vaselinöl gefülltes Pergamentrohr ragten, ca. 2 mm. Damit dürfte die Funkenspannung bei 60 ... 80 kV gelegen haben. Ohne Reichweiteneinbuße ersetzte Marconi später die mehrteilige Righi-Funkenstrecke durch zwei Messingkugeln mit etwa 1 cm Abstand. Desgleichen ließ er die Zinkzylinder von 1,8 m Höhe und 0,9 m Durchmesser fort, als er feststellte, dass er mit geringfügig höheren Antennen die gleichen Entfernungen überbrücken konnte.
Beim Tasten des Senders entstanden gedämpfte Wellen. D.h. bei jedem der etwas 20 – 30 Funkenüberschläge pro Sekunde löste sich von der Antenne ein schnell in der Stärke abklingender Wellenzug von etwa 5 - 10 hochfrequenten Schwingungen, eine sog. stark gedämpfte Welle. Deren Wellenlänge war zu Anfang unbekannt, da es Wellenmesser erst ab 1903 gab. Von den physikalischen Vorgängen bestanden nur verschwommene Vorstellungen. Allgemein wurde angenommen, dass die Funkenstrecke sehr kleine Wellen erzeuge, die von der Antenne im vergrößerten Maßstab fortgeschleudert würden. Erst um und ab 1900 begann man, die Vorgänge richtig zu deuten und stellte fest, dass bei vertikalen Antennen mit direkt darin eingeschalteter Funkenstrecke die Wellenlänge der Schwingungen rund das Vierfache der Antennenhöhe beträgt. Bei den 30 m hohen Antennen Marconis am Bristolkanal lag die Wellenlänge daher bei 120 m, entsprechend 2,5 MHz, also im Grenzwellenbereich. Die Pause zwischen den einzelnen Wellenzügen war einige tausendmal länger als diese selbst, eine äußerst schlechte Energiebilanz. Das Abklingen - die Dämpfung - der hochfrequenten Schwingungszüge entstand vor allem aus der erwünschten Abstrahlung der Sendeantenne (Abwandern von Energie in Form einer elektromagnetischen Welle mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum) sowie aus den Verlusten in der Funkenstrecke durch Wärme und Licht. Wegen des sehr schnellen Abklingens der Wellenzüge bei direkt in die Antenne geschalteter Funkenstrecke bezeichnete man später diese Wellenform als stark gedämpfte Wellen.
Zwischen dem ebenfalls 30 m langen Antennendraht und der Erde des Empfängers (am Ufer vergrabene Metallplatte) war der Fritter geschaltet. Diesen hatte Marconi besonders gut aufgebaut. Er bestand aus einem annähernd luftleer gepumpten Glasröhrchen von 60 mm Länge und 4 mm Durchmesser, in dem sich zwei mit Silberamalgam bedeckte Silberelektroden mit 0,5 mm Abstand gegenüberstanden. Der Spalt war mit einem Feilspänegemisch aus 96 % Hartnickel und 4 % Silber gefüllt. Im Stromkreis aus polarisiertem Relais, Fritter und 1,5-V-Trockenbatterie verhinderten HF-Drosselspulen - damals als »Induktanzrollen« bezeichnet - das Abfließen von HF-Energie über Relais und Batterie.
Beim Empfang von HF-Impulsen wurde der Fritter leitend, das Relais sprach an und schloss mit seinem Kontakt die Stromkreise für Klopfer und Morseschreiber. Der Klopfer arbeitete wie eine elektrische Klingel mit Selbstunterbrecher, wie bei Popow, jedoch ohne Glocke. Beim Rückfedern des Hornklöppels schlug dieser gegen das Glasröhrchen und »Entfrittete« die Feilichtfüllung. Mit parallel zum Klopfer geschalteten Widerständen wurden die normalerweise am Klopferkontakt entstehenden Funken unterdrückt, da diese den Fritter leitend machen und dieser ununterbrochen ansprechen würde. Weiter waren Funkenschutzwiderstände parallel zu Relais und Morseschreiber geschaltet. 
Bei seinen weiteren Versuchen zwischen Küsten- und Schiffsstationen wurde Marconi in England aus nationalen Interessen des Inselstaates von den Behörden erheblich unterstützt. Bereits im Herbst 1897 wurde die dann über zwölf Jahre marktbeherrschende Marconi Wireless Telegraph and Signal Company (Marconi Co.) mit englischem Kapital für Bau und Vertrieb der Funkanlagen gegründet. Die dann 1900 gegründete Marconi Marine Communication Co. vermietete ihre Bordstationen der Schiffahrt samt Funkern und mit der Auflage, nur mit Marconistationen zu verkehren. Bei Kriegsschiffs- und Marinestationen der einzelnen Staaten konnten Marconistationen jedoch nur verkauft werden. Die ersten Küsten- und Schiffsstationen in England waren für Marconi vor allem Versuchsstationen, die englische Presse brachte häufig Berichte und Erfolgsmeldungen über Marconis Funkentelegrafie. Genaue Angaben über die Technik der Geräte fehlten jedoch, da Marconi seine Geräte ausschließlich in geschlossenen Kästen vorführte und sich sehr zurückhaltend äußerte. Dies vermutlich nicht nur wegen des Patentschutzes, sondern auch wegen der noch fehlenden wissenschaftlichen Deutung, denn die Schaltungs- und Bauteilverbesserungen Marconis und seiner guten Mitarbeiter entstanden durch Probieren. Marconi erzielte 1897/98 mit den direkt zwischen Antenne und Erde geschalteten Funkenstrecken Reichweiten Land-Schiff von 25 bis 40 km bei Antennenhöhen bis zu 40 m. Alle Versuche, mit höheren Funkenspannungen und vieldrähtigen Antennen größere Entfernungen zu erreichen, scheiterten. Erst als Marconi den Fritter mit einem HF-Transformator (C etwa 1:10) an die Antenne ankoppelte und der Fritter dadurch eine höhere HF-Spannung bekam, überbrückte er größere Entfernungen: Zwischen Landstationen über den Ärmelkanal hinweg 136 km und bei den englischen Flottenmanövern im Herbst 1899 zwischen Schiffen 106 km. Ohne den Jigger genannten Transformator waren es nur 11 km.
Die Reichweitenerfolge mit der neuen Empfängerschaltung veranlasste die britische Admiralität im Juli 1900 28 Kriegsschiff- und 4 Landstationen bei der Marconi Co zu bestellen. Weiter folgten Aufträge für 22 feste Funkstellen und 30 Stationen für Handelsschiffe. In Deutschland war die Reederei Norddeutscher Lloyd Bremen (NDL) an der möglichst genauen Berechnung der Ankunftszeiten ihrer großen Nordatlantik- Passagierdampfer in Bremerhaven interessiert. Eine Eingabe im November 1899 bei der Königlichen Regierung in Aurich bewirkte den Aufbau der ersten Funkentelegrafenanlagen für den öffentlichen, allgemeinen Verkehr auf Mietbasis durch die Marconi Co, auf dem Leuchtturm der Insel Borkum und dem 35 km entfernten Feuerschiff Borkum Riff. Der Leuchtturm hatte als »See-Telegrafenanstalt« eine Morseschreiber-Kabelverbindung nach Emden. Die Kosten der beiden Funkanlagen einschließlich der Antennen übernahm der NDL, die Ausbildung der Leuchtturmwärter und der Feuerschiffsbesatzung im Morsebetrieb sowie Unterhaltung und Instandsetzung der Marconi-Funkanlagen die Reichs-Telegrafen-Verwaltung (RTV), desgl. die funkbetriebliche Aufsicht. *1)
Der Betrieb wurde am 15. Mai 1900 aufgenommen. Die Reichweite des am Hauptschifffahrtsweg verankerten Feuerschiffs betrug im Durchschnitt etwa 50 km, vereinzelt 75 km. Der Verkehr mit Schiffen spielte sich je nach deren Ausrüstung über Funk oder in Sichtnähe mit Flaggensignalen ab, letzteres zu Anfang in der Hauptsache, denn im Mai 1900 hatte nur ein einziges Handelsschiff Funk, der Passagierdampfer Kaiser Wilhelm der Große des NDL. Die 1900 gegründete International Marconi Marine Communication Co. rüstete dann 1901/02 2 NDL- und 5 Schiffe der Hamburg-Amerika- Linie (HAPAG) mit langfristig vermieteten und von Marconifunkern betriebenen Anlagen aus.
Der Funkbetrieb der beiden Borkumer Stationen mit den direkt in die Antennen geschalteten Funkenstrecken und den praktisch auf alle Frequenzen im GW- und MW-Bereich ansprechenden Jigger-Fritterempfängern wurde im Sommer durch Gewitter, im Herbst und Winter durch Antennen-Sturmschäden unterbrochen. Als Stromversorgung der noch unabgestimmten Sender dienten 8 Akkumulatoren (je 4 parallel), die ständig von 7 Reihen zu je 14 parallelgeschalteten Trockenelementen geladen wurden. Dieses Verfahren war weltweit üblich. Bei den größeren Funkstellen ohne Netzanschluss lieferten dampf- oder benzingetriebene Generatoren den Strom. An Bord von Schiffen war das Bordnetz Ladestromlieferant für die Akkumulatoren der Funkeninduktoren mit Hammer- oder Turbinenunterbrechern.
Marconi verbesserte dann auch den Sender, indem er wie Braun - ohne dessen Patent von 1898 zu beachten - die Funkenstrecke in einen Primärkreis mit Spulen sowie Kondensatoren großer Kapazität verlegte. Die neuen Empfänger- und Senderschaltungen ließ er in England mit dem Patent Nr. 7777 vom 26. April 1900 schützen. Die danach gebauten Funkanlagen erreichten im Januar 1901 mit 48 m hohen mehrdrähtigen Antennen und nur 150 Watt Eingangsleistung 300 km zwischen Landstationen. Mit großen technischen Schwierigkeiten überbrückte Marconi im Dezember 1901 sogar mit dem abends von der englischen Großstation Poldhu ständig wiederholten Morsebuchstaben »s«  im Hörfunk den Atlantik (3 400 km, behelfsmäßige Empfangsstation mit 130 m Drachenantenne in St. Johns, Neufundland). Ein Jahr später gelang der Telegrammaustausch zwischen Poldhu und der von der Marconi Company neu errichteten Station Glace Bay in Neuschottland, Kanada über 3 800 km und im Januar 1903 mit der Station Cape Cod (USA) über 4 800 km.
Die Maße und Energien von Marconis Transatlantikstationen waren für damalige Verhältnisse gewaltig: Wechselstromgeneratoren von 50 kW Leistung, hausgroße Kondensatoranordnungen mit 1 bzw. 1,5 Mikrofarad Kapazität bei Funkenspannungen von 20 kV, evtl. sogar 60 bis 100 kV. Die vieldrähtigen Trichterantennen hingen zwischen den Dachseilen von 4 im Quadrat mit 70 m Seitenlängen errichteten 71-m-Holztürmen.
Mit der Überbrückung des Atlantiks war auch die Meinung von vielen Fachgelehrten widerlegt, dass sich Funkwellen nur gradlinig ausbreiten und sie nicht der Erdkrümmung folgen würden. Marconis Überseeanlagen arbeiteten mit Langwellen, die - glücklicherweise - besonders gut der Erdkrümmung folgen.
* 1) Einzelheiten bei Gregor Ulsamer:

„Feuerschiff Borkum Riff – Geschichte des Nachrichtenwesens an der Küste“ 
Berlin/Offenbach 1991
Zum Teil 2: Slaby - Braun - AEG - Siemens - Telefunken - Hörempfang

Zum Teil 3: Der Aufschwung mit den tönenden Funken
Zum Teil 4: Die drahtlose Telegrafie mit gedämpften Wellen bekommt Konkurrenz
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Version: 08-jun-01/Rev.: 11-Jun-11 / HBu